1972 wurden die Ostverträge ratifiziert. Zuvor wurden diese in der Bevölkerung sehr kontrovers diskutiert, bis hin zur nicht nur verbalen Hochrüstung der Rechten: "Brandt an die Wand,
Widerstand!"
Und damals war EIN Punkt der Kritik der Union, daß man auch eine Regelung für "unsere Brüder und Schwestern hinter dem Eisernen Vorhang" finden müsse.
Verfolgte Deutsche, verfolgte Christen?
Wenn ich damals etwas mitbekam, war es, daß unter den gottlosen Bolschewiken Christen verfolgt würden, an den Namen von Pfarrer Wurmbrandt und der "Untergrundkirche"
kann ich mich bis heute erinnern, auch an die Kirche in
Not/Ostpriesterhilfe; einige Evangelikale aus unserer Abiturklasse kamen des öfteren mit dem Thema. Da der Geist, oder was wir dafür hielten, damals links stand, war uns dieser Zugang
natürlich suspekt. Daß es um Deutsche ging, bekamen wir kaum mit. Auch nicht, als die Union Ende April 1972 versuchte, den von uns
allen verehrten Bundeskanzler Willy Brandt zu stürzen. An Unterricht zur Abiturvorbereitung war nicht zu denken, wir klebten vor dem Fernseher und, nachdem die Abstimmung gelaufen war, trafen wir
uns mit den Jungs unserer Parallelschule, um uns zu betrinken: Gefahr abgewehrt.
Erste Erfahrungen bei der Bundeswehr
Unmittelbar nach der Wende, 1990, war ich dann vom Bundeswehrkrankenhaus Bad Zwischenahn für 3 Monate in einen anderen Standort als Truppenärztin ausgeliehen worden. Während meiner
Tätigkeit dort bekam ich dann den Auftrag, mich zusätzlich noch um die medizinischen Belange von 200 Aussiedlern aus der da noch bestehenden Sowjetunion zu kümmern. Man dachte sich das so:
Vormittags Truppenarzt in Uniform, Nachmittags zivil - man wusste ja nicht, wie die Menschen auf deutsche Uniformen reagierten und hatte sowas wir Gulag im Kopf - das, was bei den Aussiedlern
anlag. Informationen hatte kaum jemand, nur soviel: wir hätten den Auftrag, die Aussiedler erstmal zu versorgen, da die Sowjetunion gerade eine ganze Menge rausließe, damit seien die
Erstaufnahmelager vollkommen überfordert. Die Leute würden vier Wochen bei uns bleiben. Und an mich speziell: da noch ungeklärt sei, wer die Kosten für evtl. Facharztbehandlungen übernehmen
würde, müsse ich sehen, wie ich das alles Bundeswehr-intern regeln könne.
Unter der Parole, "das sind unsere Landsleute, die sind jetzt in Freiheit" legte sich die ganze Kaserne ins Zeug und das Grundgefühl war Freude, diesen Landsleuten helfen zu können und Neugier.
Und genau für dieses Anpacken, wo Not an Mann und Frau ist, habe ich meine Kameraden immer geliebt. Auch hier waren alle, vom Wehrpflichtigen bis zum Stabsoffizier, mitsamt Frauen, Freundinnen
und Kindern, hochmotiviert und stellten im Verlauf der Aktion einiges auf die Beine: eine Krabbelstube für die Kleinsten, Waschmaschinen, Kleiderspenden, auf Wunsch auch einen evangelischen
Gottesdienst, aber dazu später. Als wir feststellten, daß sehr viele auch der jüngeren Frauen Schwierigkeiten hatten, ihr Wasser zu halten - was wohl von der schweren Arbeit kam, die ihnen
zugemutet worden war - liefen die Offiziersfrauen zur Hochform auf: selbstklebende Binden, Slipeinlagen, und wo man gerade so schön dabei war, noch andere Pflegemittel und Kosmetika und dann
wurden die Aussiedlerinnen mit der Benutzung von allem vertraut gemacht, was beiden Seiten wohl großen Spaß gemacht hat. Die Wehrpflichtigen, die sich besonders um die Kinderbetreuung kümmerten,
sahen auch nicht auf die Uhr. Auf Initiative der Wehrpflichtigen wurde ein Vortrag eines der Aussiedler, eines Lehrers aus Kasachsten über die Geschichte der Russlanddeutschen organisiert und wir
freuten uns an unserem Auftrag.
Wir Sanitäter schafften es, unsere Versorgungslinien zu etablieren: der tägliche Bus ins Bundeswehrkrankenhaus nahm die Bestellliste mit und brachte die angeforderten Medikamente und
Verbandsstoffe zurück und die Ambulanzen hatten verinnerlicht, daß, wenn ich Rat und Hilfe benötigte, ich gleich zu einem erfahrenen Facharzt durchverbunden würde.
Doch mit zwei Stündchen nachmittags war das nicht getan, denn fast alle der 200 Menschen waren behandlungsbedürftig krank. Ich war 16 Stunden pro Tag im Dienst, aber ich machte das gerne - wie
alle meine Kameraden.Blutzucker von 800 - ich dachte mir nur, Ruhe bewahren, den hat er nicht seit gestern; Brustdrüsenabszess bei einer stillenden Mutter mit einem vier Wochen nicht gewechselten
Verband ... Alles irgendwie in den Griff zu kriegen, aber dann kamen die Fälle, bei denen ich alleine nicht weiterkam, und da brauchte ich die Hilfe der Kollegen vor Ort. "Herr Kollege, ich
hätte da ... aber das Problem ist, ich weiß nicht, wer das bezahlt..."
An zwei dieser Fälle erinnere ich mich noch sehr gut: ein Kind mit einem Astrozytom, das aus einem Loch in der Schädeldecke hinauswuchs, nur noch von Kopfhaut bedeckt, und akut wieder Hirndruckzeichen. Nach zeitaufwendigen, endlosen Telefonaten -wenn ich Hilfe brauchte, musste ich sehr lange telefonieren - brachte ich das Kind dann in einer Uniklinik unter. Der Klinikdirektor erklärte mir, das Kind würde über seinen Forschungsetat abgerechnet, aber er fände es schon nett, wenn ich einen Kostenträger fände.
Der nächste Fall war eine in der elften Woche Schwangere aus Tadschikistan, wie ihr Mann gelernte Melkerin, mit Zuweisung fürs Ruhrgebiet. "Ich bin herzkrank, ich kann dieses Kind, mein
Viertes, jetzt nicht bekommen."
Okay, telefoniert, da ich ja nicht mehr viel Zeit hatte, von allen Frauenärzten am Ort abgewiesen. Ein Internist sah sich dann erstmal die Herzkrankheit an und fand heraus, daß es eine harmlose
Variante an einer Herzklappe war. Danach wollte die Frau dann das Kind doch bekommen. "Mit Gottes Hilfe werden wir das schaffen."
Es waren zivile Kollegen da, die bereit waren, mir zu helfen und andere eben nicht und genau die wurden zum Problem. Man traf sich zu einem Ärztestammtisch, kam überein, daß "die Ärztin in der Kaserne" offensichtlich völlig versagte und nur noch um Hilfe schreien würde. Einige, mit Reservedienstgrad der Bundeswehr, beschlossen, sich der Lösung des erkannten Problems zu widmen und wandten sich gleich ans Ministerium. Und das erkannte Handlungsbedarf und binnen drei Tagen wurde uns befohlen, den Aussiedlern mitzuteilen, daß sie ausserplanmässig doch früher in eine Erstaufnahmeeinrichtung verlegt würden.
Ach ja, die Presse hat uns dann auch jemand auf den Hals gehetzt. Das Interview machte einer der Kollegen und ich posierte nur mit Baby im Arm. Man hielt sich für berechtigt, dieses Interview
auch noch mit vollkommen unfairen Mitteln zu bestreiten - der angebliche Fotograf stellte sich hinterher als fortgeschrittener Medizinstudent heraus, der uns, besonders mich, wohl bei irgendeinem
fachlichen Fehler erwischen sollte. Schließlich, so ja das Vorurteil, haben Truppenärzte der Bundeswehr ausser Marschblasen, Fußpilz und Tripper nichts drauf ...
Am Gottesdienst nahm ich nicht teil. Die Aussiedler hätten russische Volkslieder gesungen und gestandene Feldwebel und Offiziere seien in Tränen ausgebrochen - wir verstanden ja alle nicht, was
da los war, und vor allem, warum uns keiner gefragt hatte.
Mir war zwar ganz mulmig, denn ich hatte meine Therapien ja auf vier Wochen angelegt, aber tippte dann nachts noch vierzig Begleitbriefe. Als wir unsere Schutzbefohlenen verabschiedeten und die,
offensichtlich, um uns zu trösten, zu uns meinten, wir sollten uns keine Sorgen machen, sie seien es gewohnt, Befehlen zu gehorchen, auch wenn sie die nicht verstehen, wurde uns schlicht
schlecht.
Die Erstaufnahmeeinrichtung rief dann noch mal an, und ich erfuhr, daß man dort eine medizinische Versorgung, wie von uns geleistet, nicht darstellen könne, die Einheit forderte eine fachliche
Dienstaufsicht an, die feststellte, daß ich nicht versagt hätte, ganz im Gegenteil. Meine fachliche Reputation war wieder hergestellt, aber im Rückblick wage ich nicht, mir vorzustellen, welchen
eindruck das alles bei unseren Schützlingen hinterlassen hat.
Der Mongole von Hammelburg
1998 absolvierte ich dann meinen UN-Militärbeobachterlehrgang in Hammelburg. Die praktische Ausbildung stellte uns in Situationen, die Andere schon erlebt hatten und es gab eine "Leitungslösung"
- der die Lehrgangsteilnehmer nicht immer sofort nahekamen. Und unsere Gruppe stand vor der Station "Rebellenführer will mit Euch sprechen, aber nur einen von Euch empfangen". Die
"Leitungslösung" wäre gewesen, sich zu weigern und zu sagen, daß das Gespräch nur mit allen, oder überhaupt nicht stattfindet. Die erreichten wir aber nicht, wir ließen uns trennen. Nun gibt es
bei solchen "Stationen" auch immer ein weiterführendes Drehbuch und das sah für den Fall für die Zurückgebliebenen "Schikanieren, beleidigen, provozieren und beklauen" vor, natürlich bitte nicht
ausartend, aber man dachte sich, die zukünftigen UNMOs (UN-Military Observer) würden schon einen Knuff vertragen können. Die Rebellengruppe wurde angeführt vom Hauptgefreiten Valentin Fischer (so
hieß er natürlich nicht, aber ein bißchen Anonymisierung muß sein), einem Russlanddeutschen. Nur sah Fischer überhaupt nicht deutsch aus, sondern ziemlich asiatisch - so, wie man in Burjatien,
Kirgisien oder in irgendwelchen sibirischen Gefilden halt aussieht. Fischer betrieb seinen Job mit Inbrunst, schubste die Herren gegen die Wand, rammte ihnen den Gewehrkolben in die Seite und
brüllte ihnen irgendwas auf Russisch ins Ohr - können Mutterflüche oder sonstige Beleidigungen gewesen sein, wer weiss das schon...
Als die Show zuende war, machten die Herren ihrer Empörung Luft. Was denn bitte an diesem Mongolen deutsch sei. Der Schäferhund, der zu Hause die Äcker bewacht habe?Und überhaupt, wieso man einen
MONGOLEN auf uns loslasse - das sei doch bekannt, was das für welche seien.
Als einer der Herren noch feststellte, daß die "Rebellen" ihm die Zigaretten geklaut hatte, reichte es: Beschwerde beim Leitenden. Als der Kamerad noch seine Zigaretten zurückforderte sowie die Bestrafung des Diebes, soll es dem Hörsaalleiter gereicht haben: hier haben Sie fünf Mark, ich will ja nicht, daß Sie finanziell Schaden nehmen.
Fortsetzung folgt.