Ende mit Schrecken
Die Verlobung, nach dem 20. Juli 1944, versaute (s)eine erneute Heldenehrung wegen erneuter Heldentat, und die Vorgesetzten hatten die Faxen endgültig dicke – sie beschlossen, den Helden
die ultimative Ehre zu besorgen: den Heldentod fürs Vaterland. Das ersparte nämlich die unangenehme Schreibtischarbeit für die Einleitung von Disziplinarmaßnahmen/Kriegsgerichtsverfahren. Zumal
die entsprechende Dienststelle in Berlin unmissverständlich mitgeteilt hatte, sie sei mit der Nachbearbeitung des „20. Juli“ beschäftigt: es mussten nämlich in diesem Zusammenhang auch
involvierte Luftwaffenangehörige gejagt werden.
Die folgende Bilderserie zeigt meinen Vater, Elena und Elenas Bruder bei einem Ausflug nach Warna am 27. Februar 1944 - vermutlich haben sie da den 24. Geburtstag meines Vaters gefeiert:
August 1944
Elena war, wie oben mitgeteilt, bereits als „Fremdarbeiterin“ in Deutschland. Nun, man stellte aus den zu Entsorgenden einige Himmelfahrtskommandos zusammen, und als man erfuhr, die Maschinen
seien – wunschgemäß – abgeschossen worden, bekamen die Angehörigen letzte Briefe „Gefallen für Großdeutschland: Oberfeldwebel Werner Schatz“. Urkunde, Orden, Bescheinigung für die entsprechende
Zeitung ihres Heimatorts zwecks Anzeige: „In Stolzer Trauer…“.
Die verhinderte Schwiegermutter besann sich auf ihre tschechischen Wurzeln, schnappte sich die verhinderte Schwiegertochter und ging zurück ins Sudetenland. Irgendwie passte ihre Geschichte
nicht, und so gab man ihr die dringende Empfehlung, sich doch bitte wieder ins „Reich“ zu verziehen – wenn die Nazis endgültig bezwungen seien, ginge es den Deutschen und ihren HelferInnen
an den Kragen. Und da sich meine Oma ja anscheinend bei besagter Volksabstimmung zur Deutschen erklärt hatte ...
Mein Vater war aber nicht tot, sondern hatte sich nach dem Abschuss der Maschine retten können und wurde einer „Großkampf-Batterie“ zugeteilt:
„Also, nachdem unsere sämtlichen Offiziere gefallen waren, habe ich als Oberfeldwebel, als der nächsthöhere Dienstgrad das Kommando unserer Grosskampfbatterie übernommen. Da wir auch mit
Spezial-Munition ausgerüstet waren, konnten uns die gefürchteten T34-Panzer nichts anhaben. Doch eines Tages - es war Mitternacht - erschien ein rumänischer Major in unserer Stellung und sagte,
dass er so lange mit den Deutschen zusammen gekämpft habe und das nicht vergessen könnte. (die Rumänen waren ehemals unsere Verbündeten und nun jedoch unsere Gegner). Er teilte uns mit, dass die
Sowjets wüssten, dass wir kaum noch Munition hätten und wollten um 04:30 Uhr die Stellung stürmen. Wir wussten, dass wir auf verlorenem Posten stehen würden und haben uns in kleinen Gruppen (die
Rumänen hatten uns durchgelassen) durchgeschlagen. Unsere Gruppe ist durch die Donau geschwommen, denn wir wollten über Bulgarien zur Türkei. Aber ein bulgarischer Bauer eröffnete uns, dass auch
die Bulgaren uns den Krieg erklärt hätten. Da sind wir denn wieder zurückgeschwommen und gerieten in rumänische Gefangenschaft, die uns an die Sowjets auslieferten.“
Das, was mein Vater in seinen Blog schrieb, deckt sich nicht immer mit dem, was er mir mündlich überliefert hat, und einiges hat er auch bis zu seinem Tod nicht zur Kenntnis genommen: nämlich,
daß die Verbündeten Deutschlands, besonders Italien, Rumänien und Bulgarien niemals als Gleichberechtigte betrachtet wurden und bei allen gemeinsamen Einsätzen entgegen den Zusagen niemals
ausreichend Material bekamen und dann nicht das beste, und darüber hinaus – so zum Beispiel in Stalingrad – auch immer Jobs zugeteilt bekamen, bei denen sie im Endergebnis als Kanonenfutter und,
wenn’s schief ging, als Sündenböcke herhalten mussten. Diese unanständige Behandlung der angeblichen Verbündeten hat sicherlich zu deren Frontenwechsel mit beigetragen.
Gefangen und in Sicherheit
To cut a longer story short: mein Vater geriet in sowjetische Gefangenschaft, und, nach drei Fluchtversuchen ziemlich weit ins Landesinnere, nach Karelien. Darüber schreibt er:
„Durch Zufall gelangte ich in den Besitz einer Broschüre über Karelien. und kann nur bestätigen: Es ist ein sehr schönes Land. Im August 1944 geriet ich in Rumänien in sowjetische
Gefangenschaft und landete in besagtem Karelien. Dort lernte ich nun Land und Leute kennen Von Beiden war ich angenehm überrascht. Zuerst einmal von der Schönheit des Landes und von der
Herzlichkeit der Bevölkerung. Da habe ich erfahren, dass das Geschwätz von den russischen Untermenschen reine Propaganda war. Was mir weniger gefallen hat, war die Eiseskälte. Aber trotz aller
Strapazen, die ich als Kriegsgefangener erdulden musste, denke ich gerne an Karelien zurück.“
Nun ja, erstmal war der Marsch durch Leningrad zu bewältigen: Nach 900-tägiger Belagerung konnte Leningrad befreit werden. Bei der Operation Bagration, dem Vorstoß nach Westen, wurden nunmehr
Unmengen deutscher Gefangener eingebracht.
Die deutschen Gefangenen, die man für die Internierung im Norden vorgesehen hatte, wurden durch Leningrad geschickt. Weitere Märsche fanden in Moskau, Minsk und Kyiv statt – um der Bevölkerung,
die für die Niederringung dieses Feindes solch große Opfer gebracht hatten, zu zeigen, daß diese Opfer nicht vergebens waren - auf jeden toten GI kamen 4.000 tote RotarmistInnen. Inwieweit diese
extrem hohen Gefallenenzahlen der eigenen Führung zuzuschreiben sind, die die Soldaten rücksichtslos verheizt habe, wird in der Geschichtswissenschaft bis heute kontrovers diskutiert. Die
Menschen, die diese Opfer brachten, hatten es mit Sicherheit nicht verdient, daß das im Kalten Krieg schändlich kleingeredet wurde. Allerdings haben sie ebensowenig verdient, daß mit widerwärtigen Shows und aggressivem Vereinnahmen unter Ausgrenzung derer, die diesen Sieg errungen haben, dieses Erbe ebenfalls in den Dreck gezogen
wird.
Übrigens befindet sich an vielen von deutschen Gefangenen errichteten Bauwerken, wie auch an dieser Brücke über den Fluss Gumista
in Abchasien eine Gedenktafel: „Diese Brücke wurde von deutschen Gefangenen erbaut – nie wieder Krieg!“
Mein Vater musste in Leningrad mitlaufen und wurde dann via Petrosawodsk nach Wologda transportiert: er hat mir erzählt, daß man das allgemein zwar nervig fand, aber er und seine Kameraden hätten
das verstanden. Die Bevölkerung habe schreckensstarr am Straßenrand gestanden, es sei gespenstisch still gewesen. An den Seiten seien Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten gelaufen, um die
Gefangenen vor eventuellen Übergriffen der Bevölkerung zu schützen. Die habe es aber nicht gegeben. Es seien nach seinem Eindruck, besonders große und blonde Rotarmisten ausgesucht worden, die
natürlich einen Kontrast gegen die abgerissenen, depressiv daherschlurfenden Deutschen gebildet hätten. Man hätte den Gefangenen "Kascha" zu essen gegeben. Kascha ist ein nahrhafter
Buchweizenbrei, den man ggf. herzhaft oder süß anreichern kann, 1998 noch Bestandteil der russischen Truppenverpflegung, wovon ich mich selber überzeugen konnte. Nach Erinnerung meines Vaters sei
irgendwer noch auf die Idee gekommen, den Brei noch mit Öl anzureichern, zwecks Erhöhung der Kalorienzahl. Viele der Deutschen hätten Durchfall bekommen und es sei gemunkelt worden, daß "der Iwan
uns wohl vergiftet hat". Nichts an dem, sie hatten bloß die plötzlich immens reichhaltige Kost nicht vertragen und das Öl führte ab. Da sie trotzdem marschieren mussten, mit Durchfall, fuhren
Wasserwagen hinterher. Erklärbar, nicht wahr? Ich komme darauf zurück. In der folgenden slide-show habe ich den Weg nachgezeichnet und einen abgescannten Bericht einer Illustrierten namens
"heute" vom 4. Januar 1950 - er war da gerade erst ein paar Wochen wieder in Deutschland - mit seinen eigenen handschriftlichen Anmerkungen. Ob er an diesem Bericht mitgewirkt hat, kann ich ihn,
verstorben 2008, nicht mehr fragen, aber er hat solche Schätze gehütet wie seinen Augapfel.
1949 kam mein Vater nach Hause, 1952 heiratete er meine Mutter, 1953 kam ich auf die Welt. Denke ich an meine Kindheit zurück, so will es mir scheinen, als sei das Thema „Krieg“ und
„Gefangenschaft“ sehr präsent gewesen: noch Jahre später konnte ich mich an ein Telefongespräch erinnern, das mein Vater mit der Mutter eines anderen Soldaten geführt hatte: eine Frau rief an,
sie habe herausgefunden, daß mein Vater etwas über ihren Sohn wissen müsse. Im Verlauf des Gesprächs, das hin und her ging, berichtete mein Vater der Frau, er wisse, daß dieser Sohn an
Fleckfieber gestorben sei. Als er die Nachfragen, warum er das denn so genau wisse, überzeugend beantwortet hatte, muß die Frau wohl zusammengeklappt sein. Als ich das Jahrzehnte später erzählte,
konstatierten meine Eltern einigermaßen fassungslos, daß ich, als ich Zeugin dieses Gespräches geworden sei, nicht viel älter als vier Jahre gewesen sein könne.
Mein Vater erzählte mir auch, in der Sowjetunion habe er Geld für seine Arbeit bekommen – während man in Deutschland die Lüge von der „Vernichtung durch Arbeit“ erzählte, die sich ja auch schon
im "Wologda"-Artikel andeutet. „Vernichtet“ wurden 3,5 Millionen Rotarmisten. Nicht nur mein Vater berichtete, daß die deutschen Gefangenen fast das Gleiche bekamen wie die sowjetische
Bevölkerung, mit Ausnahme einiger Besonderheiten. Wieso trotzem so wenige überlebt haben? Weil der Vernichtungskrieg im Osten eben auch auf Kosten der dort eingesetzten deutschen Soldaten geführt
wurde. Man hat ihnen erzählt, sie kämpften dort gegen einen "mißlungenen Wurf zum Menschen hin", wie es im Pamphlet "der Untermensch" heisst. Viele Soldaten starben deshalb lieber als in
sowjetische Hände zu fallen, falls es ihnen nicht gelang, sich zu den Westalliierten durchzuschlagen. Mein Vater hatte auch alles mögliche erwartet - zum Schluß kämpften die Deutschen ja auch aus
Angst vor der - von vielen als berechtigt empfundenen - Vergeltung der Sieger.
1955 kamen die letzten nach Hause – Konrad Adenauer musste sie nicht „holen“, sondern die Sowjets haben sie freigelassen als Reaktion auf den Austausch von Botschaftern. Als man meinem Vater 1955
anbot, in die Bundeswehr einzutreten, lehnte er das ab.
Als ich dann 1998 nach Georgien in den Einsatz ging - in exakt jenes Gebiet, über dem er als Feind in der Luft gewesen war - schrieb er mir: er habe in der Gefangenschaft nicht unterscheiden
können, ob jeweils ein Russe, Ukrainer, Georgier in der Uniform gesteckt habe. Er sei besser behandelt worden, als er mit Fug und Recht habe erwarten können, zumal die Sowjetunion ja durch
deutsche Schuld so schwer zerstört worden sei. Er wünsche sich, daß ich keine Unterschiede machte, keine Partei ergreife und jeden bestmöglich behandle. Ob und wie ich das hingekriegt habe -
davon handelt der dritte Teil.
Fortsetzung folgt.