Nach dem erneuten tragischen Ereignis, der Massenpanik mit über 700 Opfern in Mina möchte ich doch mal gegen das wieder allerorts aufploppende Halbwissen meine persönlichen Erfahrungen aus meiner Umra (kleine Pilgerfahrt) von 2009 setzen. Sicher nicht repräsentativ, aber allemal repräsentativer als das, was so manche Publikation zusammenstoppelt.
Trotz noch bestehenden erheblichen Defiziten unternimmt das Königshaus erhebliche Anstrengungen, so vielen Pilgern wie möglich jährlich die Hadsch zu ermöglichen.
Erhebliche Bauanstrengungen und Massenpaniken
Liest man sich die aktuellen Presseberichte durch, so hat man den Eindruck, daß die saudischen Behörden nichts im Griff haben. Dem ist aber nicht so, das Königshaus, dessen Prestige von einer
reibungslosen Durchführung der Pilgerfahrt abhängt, unternimmt erhebliche, kostenträchtige Anstrengungen. Man kann natürlich darüber streiten ob Monsteruhren, Wolkenkratzer, Luxushotels und die
Zerstörung historischer Bausubstanz die Pilger dem spirituellen Ziel näher bringen. Das Bild, arabische Großmannssucht habe hier nichts im Griff, ist falsch.
Ihr seht mich oben 2009 an der Baustelle von Mina, die dem erhöhten Bedarf an Raum für die Pilger angepasst werden sollte:
Eigentlich wurden 3 relativ kleine Säulen "gesteinigt" die an die Pilgerfahrt von Abraham und seinen Versuch, Gottes Gebot der Opferung seines Sohnes zu unterlaufen, erinnern sollen. Die
Steinigung der Säulen symboliert also die Abwehr der teuflischen Versuchung des Ungehorsams gegen Gott. Daß für die Muslime nicht Isaak, sondern der Sohn Abrahams mit Hagar,
Ismael dieser Sohn war, sei nur am Rande erwähnt; in der Bibel war Abraham gehorsamer.
Die Stelle dieses Rituals war immer schon unfallträchtig, denn die für die Säulen bestimmten Steine trafen nicht selten einen Mitpilger. So machte man zunächst aus drei kleinen drei riesige
Säulen:
Dann wurden aus den drei Säulen drei Wände auf einer Ebene, als ich 2009 auf der Baustelle war, sollten aus der einen Ebene fünf Stockwerke - zur Vermeidung von
solchen Staus, wie sie anscheinend jetzt wieder schicksalhaft waren - werden. Katastrophenszenarien hat man mit einer Firma aus den neuen Bundesländern und dem Papst der deutschen
Katastrophenmedizin, Professor Bernd Domres versucht, im Vorhinein zu durchdenken und auszuschalten. Ich wage nicht, zu behaupten, daß es möglich ist, so ein Risiko auf null zu bringen, aber ich
behaupte, daß das Königshaus alles dafür tut, das Risiko auch an solchen Gefahrstellen zu minimieren.
Professor Dr. Dr. Bernd Domres, heute meistens im Zusammenhang mit der Hilfsorganisation "Humedica" in den Medien, ist trotz seines mittlerweile hohen Alters noch immer
der Papst und die Referenz der deutschen Notfall- und Katastrophenmedizin. Er war fünf Jahre chirurgischer Chefarzt in Hail, im Norden Saudi-Arabiens und ist bis heute Berater des Königshauses. 2006 hat er in einem internationalen
Journal zur Katastrophenprävention während der Hadsch seinen Notfallplan vorgestellt, der noch im gleichen Jahr in Kraft gesetzt wurde
und der zu Teilen an das Konzept der Bundeswehr für die Sanitätversorgung während großer Gefechte entlehnt ist: sog. überschlagender Einsatz mobiler
Lazarette und Luftunterstützung durch Transporthubschrauber. Es lohnt sich wirklich, den Domres'schen Notfallplan einmal zu lesen. Das stellt die sicherlich tragischen Unglücksfälle in einen
etwas anderen Kontext. Die "ostdeutsche Firma", die ich oben erwähnte, ist eine Unternehmensberatung, die sich auf die Beratung bei drohenden psychischen Ausnahmesituationen großer
Menschenansammlungen spezialisiert hat. Kommuniziert wird mit den Nicht-Muslimen per Videokonferenz, was übrigens für keinen der Nichtmuslime je ein Problem dargestellt hat.
Meinen Überlegungen zum Unfall mit dem Kran stelle ich das folgende Video mit Bildern aus meinem Geburtsjahr, 1953 voran. Wie Ihr seht, war die Hadsch damals noch eine gemächliche, nichtsdestotrotz gefährliche Angelegenheit. Weil sie lange Jahre so gefährlich war, daß ein Großteil der Pilger wegen Räubern, Unwettern und Krankheiten nicht mehr nach Hause zurückkehrte, wurde für den, der so ums Leben kam, das Paradies ausgelobt.
Eine nicht nur unter Muslimen, sondern auch in der Architektur-Fachwelt kontrovers diskutierte Erweiterung wurde von einem internationalen
Team aus 18 renommierten Architekten - überwiegend Nichtmuslime! - geplant und wird jetzt durchgeführt. Das Team wird geführt von einer Frau, der irakisch-britischen Stararchitektin
Zaha Hadid und
einem Nicht-Muslim, der auch den Reichstag geplant hat: Sir Norman Foster.
Eine Architekturfirma hat das folgende Video mit ihrem Entwurf eingereicht. Das hat sich doch schon sehr weit vom Ursprung entfernt - aber wie sonst soll man der Pilgerscharen Herr werden?
Eigentlich gab es mal eine Zeit, da konnte man die Ka'aba von weitem sehen - heute ist sie in den Häuserschluchten Mekkas verschwunden.
Ich stelle mir vor, daß der große Kran diesen Ausmaßen zwar angepasst war, aber vermutlich zu groß um stabil zu sein.
Mit Verlaub: das ist ein vollkommen anderer Kontext als der der üblichen westlichen Berichterstattung. Daß Tradition und westliches Know-how durchaus eine erfreuliche Symbiose eingehen können,
zeigen die berühmten Schirme des schwäbischen Architekten Bodo Rasch an der Prophetenmoschee von Medina, die durch ein Computerprogramm gesteuert werden. Auf dem letzten Bild seht Ihr (pinke
Jacke) eine Muslimin - ohne Kopftuch...
Nachtrag: Iran ... macht ... verantwortlich: dazu sollte man wissen, daß es seit Jahren schon Querelen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien wegen einer vom Iran geforderten Mitbestimmung an den
Heiligen Stätten gab. 1987 gab es bei einer von den Iranern durchgeführten Demonstration mehr als 300 Tote. Die Vorschrift, als Gruppe erkennbar zu sein, erfüllten die Iraner*innen
2009 mit neonfarbenen Streikbrecherwesten mit der Aufschrift "Islamic Republic of Iran". Sie kamen einem immer vor wie im gefühlten Feindesland, obwohl sie eigentlich, wenn unter sich,
immer gut drauf waren - ich bin einmal von einem iranischen Bus mitgenommen worden. irgendwas fanden die an mir total lustig und haben sich fast kaputtgelacht. Und wenn ich in der Moschee nicht
so wollte wie die Wächter*innen, habe ich mich immer zwischen die Iranerinnen verkrümelt. Da wurde ich dann in Ruhe gelassen.