Saudi-Arabien 2009-Teil 2: Salafisten, Minarette und Mc Donalds.

Nachdem ich mir die Reaktionen auf meinen Saudi-Arabien-Artikel durchgelesen habe, denke ich, es macht Sinn, noch etwas mehr zu schreiben. Wie gesagt, es sind meine subjektiven Erfahrungen, ich bin weder Orientalistin, noch Expertin. Von letzeren gibt es schon viel zu viele. Was ich hier aufgeschrieben habe, habe ich so erlebt und bewerte es auch entsprechend.


Das nebenstehende Bild wurde in Uhud aufgenommen, für die Muslime ein wichtiger Ort. Dort wurden sie von den Quraisch aus Mekka angegriffen.


Neben mir auf dem Bild ist Rabia, eine in Deutschland lebende Marokkanerin. Mit ihr und ihrer Familie war ich auf der Reise permanent zusammen. Und das kam so:


Ich hatte beim Buchen der Reise die Auswahl zwischen einem Einzel- und einem Vierbettzimmer.




Ich entschied mich für ein Vierbettzimmer und wurde von einer marokkanischen Familie adoptiert und bewohnte mit zwei Frauen dieser Familie ein Zimmer. Rabia, in etwa so alt wie ich, war die jüngste einer Geschwisterreihe, deren ältester Bruder, 88-jährig, genau wie Tochter und Schwiegersohn auch mit dabei waren. Wir drei Mädels hatten einen Heidenspaß - es kamen jedoch auch Leid und Tränen dazu, dazu später. 


Die Reiseagentur, ein junges, syrisches Startup aus Hamburg war mir von einer Freundin empfohlen worden. Im Vorgespräch tat ich kund, ich könne mir keinen Kontakt mit Salafisten leisten. "Schwester, kein Problem, es wird Dich einer der Reiseleiter anrufen." Das tat er denn auch. Bruder R., Oberkommissar im Kriminaldauerdienst der Frankfurter Kripo. Ich weiß nicht, ob sich jemand noch an die ZDF-Serie erinnert, deren Roter Faden es war, daß der Dienst beim KDD niemanden in den Kleidern steckenbleibt. Wir unterhielten uns über Muslime im Öffentlichen Dienst, ich sagte ihm ich sei überzeugte Soldatin. Ja, ist doch prima, er sei überzeugter Polizeibeamter und werde demnächst von der Zeitschrift der Polizeibeamten interviewt. Meiner Auffassung, Gottesdienst und Da'wa (Vorstellung des und ggf. Ruf zum Islam) sei für Beamte in erster Linie die tadellose Ausführung des Dienstes, stimmte er uneingeschränkt zu. Ich war beruhigt.

Gleich vorweg: fast unmittelbar nach unserer Rückkehr brach R. zusammen, wurde aus Gesundheitsgründen frühpensioniert, radikalierte sich vollkommen und brachte es auch in den Medien und dem Internet zu einiger Bekanntheit. Ich hatte nach der Reise keinenn Kontakt mehr mit ihm und es fühlt sich an wie ein Film, aus dem einige wichtige Szenen gelöscht wurden, sodaß man die Handlung nicht mehr versteht.


Nochmal: ich hatte ausdrücklich gesagt, kein Kontakt zu Extremisten ... Auf dem Frankfurter Flughafen bekam ich erstmal Schnappatmung: Viele der Jungs im typischen Salafi-Outfit: Häkelkäppi, kahlgeschorener Kopf, Rauschebart, langes Hemd, Hochwasserhosen und Sportschuhe, viele der Mädels im "ägyptischen" Submaximal-Kopftuch - siehe oben. Aber auch Viele, die einfach Muslime waren. Ich war gefragt worden, ob ich bereit wäre, mich als Hausarzt zu verstehen. Hab ich mal gemacht, und nachdem alles, was ich meinte, für den Job zu brauchen, beisammen war, hatte ich 7 kg mehr im Rucksack. Es war die Zeit des Schweinegrippenhypes. Die Sagrotanflasche hat mir die Sicherheit in Frankfurt gleich wieder abgenommen.


Geflogen sind wir mit Saudia, früher Saudi-Arabian Airlines. Im Vergleich zu dem, was die bieten, sehen Lufthansa und KLM wie Billigflieger aus: Mitnahme von 30kg Gepäck (okay, kann am "Pilgervisum" gelegen haben, dazu später noch was...), 5 Gerichte zur Auswahl, Kaffee, Tee, Säfte und Mineralwasser so viel man wollte, nach dem Essen gewärmte, parfümierte Servietten zum Händeabwischen, genügend Platz mit Beinfreiheit, 21 Kanäle mit Fernseh- bzw. Videoprogramm: Religiöses, Harry Potter, Krimis, Musikvideos. Ein Teil zum Gebetsraum umgerüstet, bei dem über eine Projektion immer die aktuelle qibla, die Gebetsrichtung angezeigt wurde. Vorweg: beim Rückflug hatten viele von uns deutlich mehr als die genehmigten 30 kg dabei, ich so um die 50 kg. Die Lösung war pragmatisch: es wurde für die Gruppe ein Durchschnitt pro Person ermittelt, die Babies und (Klein-)Kinder, die alle nicht auf das volle Gepäckgewicht kamen, als eigenständige Personen gezählt, und da passte es dann wieder.

 

Scheich Bin Baz, Minarette und McDonalds

 

In allen großen Städten findet man die Supermarktkette Bin Dawood - aber richtig beliebt sind die großen Fastfood-Ketten, ganz vorne weg natürlich McDonalds...

 

Ich bin mit American Express Traveller-Schecks gereist, um vor Ort festzustellen, daß kein Mensch die nimmt. Es wurde zwecks Problemklärung ein einheimischer Bruder herbeigerufen, aber die gesamte Aktion blieb ziemlich erfolglos. Zwar wurde ermittelt, daß es sowohl für die deutsche Postbank als auch für meine Sparkasse die Möglichkeit gab, aus Geldautomaten Geld zu bekommen, aber wer schleppt schon gerne einen vierstelligen Dollarbetrag mit sich rum...

 

Zum Trost wurde ich dann zu einem McDonalds Drive-In gefahren, nicht nur die Jungs deckten sich ein, mir gaben sie zum Trost für meinen Frust einen Literbecher Cola, einen Fischmäc und eine Apfeltasche aus.

 

Der zweite Kontakt mit McDonalds war dann wesentlich heftiger: Als attraktiver Programmpunkt wurde ausgelobt, daß wir in einem Vorort von Mekka zu McDonalds gehen würden, ganz und gar halal Hamburger essen, so halal, wie man sie in Europa nirgendwo bekomme. Alle waren völlig begeistert, wir zogen los. Alles stürmte in den McDonalds, die Jungs bestellten, doch dann ...

 

"Frauen werden hier nicht bedient!"

 

 

Wie bitte??? Nein, man wies uns den Weg ums Gebäude und wir sahen eine Art Katzenklappe, bloß höher gelegen. "Female Orders." Zuerst rasteten unsere Afghaninnen aus:

 

"Wir sind nicht vor den Taliban geflohen und haben nicht teures Geld für diese Reise bezahlt, um uns jetzt hier sowas zuzumuten ...".

 

Eine Türkin sinnierte, diese Klappe zu akzeptieren, sei ein Verrat an allen Musliminnen, die für ihre Rechte kämpften... Entschluss: Boykott!

 

"Also, Brüder, wir wollen hier nichts, uns ist der Appetit vergangen!"

 

Man versuchte noch, uns mit Soft Ice zu besänftigen, was wir jedoch auch verschmähten. Bei 40 Grad im Schatten löst sich Soft Ice sehr schnell in seine Bestandteile auf, was den Verhandlungsversuch extrem verkürzte. Die Herren aßen ersteinmal ihre Hamburger auf, was durch die Scheibe etwas appetitlos wirkte, doch dann gab es eine Lösung:

 

"Wir besuchen jetzt alle die Moschee von Scheich Bin Baz!"

 

Bin Baz statt halal-Hamburger. Das Angebot wurde angenommen.- Womit wir beim Thema "Salafismus" wären.

 

Als "Salafisten" - der Begriff ist allerdings ziemlich schwammig - werden Muslime bezeichnet, die sich an den salaf, den Prophetengefährten und den ersten drei Generationen Muslime bezeichnen.Salafisten, die sich übrigens selber niemals so bezeichnen würden, sind zunächst einmal ultrakonservative Muslime, nichts weiter.

Während der ersten drei Generationen (genauer bis zur Zeit des sechsten Kalifen) hatte die Prophetenmoschee in Medina keine Minarette, denn Salafisten lehnen Minarette ab!

Deswegen erkennt man die Moscheen der Salafisten in Saudi-Arabien genau daran: die Minarette fehlen. (Genau das habe ich 2009 anlässlich des Schweizer Minarettverbots schon mal ausgeführt. Hier und hier.)

Der letzte prominente Salafist war der 1999 verstorbene Scheich Abdelaziz bin Baz, "Hofprediger" des Königshauses, einige Jahre Großmufti und Vorsitzender des Rats der Ulema, der Rechtsgelehrten. Auf ihn berufen sich viele "Salafisten" im Westen, auch viele in der Reisegruppe.

Bin Baz vertrat noch bis 1966 ein geozentrisches Weltbild: alle Gestirne, einschließlich der Sonne kreisten um die Erde. Stehe jedenfalls so im Koran. Nun ja, da man im Westen seit Kepler nicht mehr davon ausgeht, kam die Erkenntnis irgendwie nicht so gut. Richtig böse Menschen brachten sogar das Gerücht in Umlauf, Ibn Baz habe behauptet, die Erde sei eine Scheibe, was dem Königshaus eine Stellungnahme abverlangte, die diese Aussage als bösartiges Gerücht bezeichnete.

 

In meiner abgrundtiefen, Frauen so eigenen, Bosheit beschloß ich, unseren Reiseleiter mal danach zu fragen:

 

"Bruder, wie war das denn mit der Erde und der Scheibe?" - Ja, ehäm, Schwester, im Islam sind die Gelehrten gehalten, die Ergebnisse der Wissenschaft mit einzubeziehen." - "Echt jetzt? Aber es ist doch nicht Wissenschaft, daß die Erde eine Scheibe ist? - "Ehäm, Schwester, also: die Verdienste von Scheich Bin Baz reichen von hier bis zum Mond, während eine Kinderhand die Summe seiner Fehler leicht bedecken kann." - "Aha." - "Und wir, Schwester, sind gehalten, die Fehler unserer Mitgeschwister zu bedecken, alles klar?"

 

Dabei habe ich es dann belassen. Alles weitere wäre wirklich fies gewesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Medizinische Versorgung und Tod in Mekka


Da Ali, der 88-jährige Großvater "meiner" marokkanischen Familie urplötzlich sehr krank wurde, hatte ich reichlich Gelegenheit mich mit Gesundheitsversorgung, Krankheit und Tod in Saudi-Arabien auseinanderzusetzen - und mit der deutschen Botschaft.

Opa Ali, eingebürgerter gebürtiger Marokkaner, ehemaliger Bergmann und bei der Versicherung der Bergleute, der Knappschaft versichert, wurde vom Rettungswagen abgeholt, ins König Abdelaziz-Krankenhaus gebracht und auf die Intensivstation aufgenommen. Die Stationen sind nach Geschlechtern getrennt und, soweit man nicht verwandt ist, haben Personen des jeweils anderen Geschlechts keinen Zutritt. Ich wurde gebeten, mitzukommen, und der aufgeregten Familie zur Seite zu stehen, mit der Situation klarzukommen. Deswegen wurde ich als "Schwägerin" eingeführt. Ich riet dazu, nicht verlauten zu lassen, daß ich Ärztin bin. Das demonstrative Mitschleppen von "Kolleginnen" (es sind nie Kollegen, sondern immer "Kolleginnen", die nach dem Studium gleich geheiratet haben und ihren Arztberuf nie ausgeübt haben, die sich dann energisch in den Vordergrund schieben, was dann immer als Mißtrauensvotum zu werten ist. Deswegen empfahl ich, zunächst mal davon abzusehen. Wir fuhren jeden Tag ins Krankenhaus.


Für Inhaber eines sog. Pilgervisums ist jedwede medizinische Behandlung frei, und so auch die aufwändige Behandlung auf der Intensivstation. Das erste Bild zeigt eine Einrichtung auf dem Grund und Boden der Prophetenmoschee in Medina, die in Deutschland einem sehr großen Medizinischen Versorgungszentrum entspricht. Die weiteren Bilder habe ich im Krankenhaus in Mekka gemacht.


Nach einigen Tagen sprach mich eine der Schwestern an:


"Ich verstehe etwas Deutsch und habe ein Teil Ihrer Gespräche mit der Familie mitbekommen. Sie sind doch sicher auch Krankenschwester." - "Nein, ich bin Ärztin." - "Warum haben Sie das nicht gleich gesagt. Unser Oberarzt wird mit Ihnen sprechen wollen. Wir vermuteten, Sie sind Schwester, aber das ist natürlich noch viel besser."

 

Was man von mir wollte: zwar ist die Behandlung vollkommen frei, aber die Bettenkapazität nicht grenzenlos. Deswegen erhoffte man sich von mir Hilfe, um Ali nach Deutschland zu repatriieren. Dummerweise stellte sich heraus, daß der alte Mann seinen Versichertenstatus gründlich mißverstanden hatte: die Knappschaft versichert zwar auch Behandlungen im und Rückholungen aus dem Ausland, aber nur für das ehemalige Heimatland. Und nun hatten wir ein Problem. Der ADAC verlangte 45.000 Euro. Ein Gespräch mit dem ältesten Sohn ergab, daß die fünf Kinder aus dem Stand 25.000 Euro aufbringen könnten, ich wurde gebeten das  mit der Botschaft zu regeln, daß die, für ein paar Tage nur, die Differenz aufbrächten, bis die von den jeweiligen Banken das Geld käme. Die Kinder, alles Selbständige mit Friseurgeschäft, Autowerkstatt etc. würden sich zwecks Kleinkredit an ihre Banken wenden, was ja nur ein paar Tage dauern könnte. Sie wollten ihren Vater so schnell wie möglich zurück, im Kreis der Familie würde er bestimmt schneller gesund. Wie die Botschaft mich hat abfahren lassen - einfach nur beschämend.


Wir versuchten, eine andere Lösung zu finden. Heimflug und Begleitung durch einen saudischen Arzt? Negativ. Ein Schengen-Visum dauer,t und ein Flugzeug, das jemanden an Bord hat, der über kein Schengen-Visum verfügt, bekommt keine Landeerlaubnis. Da die saudischen Kollegen vorschlugen, erstmal den Transport generell zu regeln, telefonierte ich mit der Lufthansa, zu der sie das meiste Vertrauen hatten. Die Familie hatte schon zugesagt, die Kosten zu übernehmen, 25.000 Euro stand ihnen ja zur Verfügung.


Für den Transport auf einer Trage mit Arztbegleitung (ich war bereit, die Begleitung zu übernehmen, als erstaufnehmendes Krankenhaus kam evtl das Bundeswehrkrankenhaus in Berlin in Betracht) wollten sie den Preis von drei Erster-Klasse-Tickets haben.


Ich: "Der Patient muß beatmet werden, es kommt ein Beatmungsgerät mit." - "Mit Sauerstoffbehälter?" - "Ja, natürlich." - "Dann vergessen Sie's, Sauerstoffflasche mit an Bord, zu gefährlich."


Saudia angerufen. "Klar. Kriegen wir hin." Ich: "Was kostet das?" - "Der Patient und Sie haben doch ein Flugticket, also nichts mehr." - "Der Patient muß beatmet werden". - "Wo ist das Problem? Wir haben doch sowieso Sauerstoff für Notfälle an Bord." Ich: "Und wie wollen Sie in transportieren?" - "Wir sperren den Gebetsraum. Eine Leitung für den Sauerstoff kriegen wir hin." Der Oberarzt schrieb an den ärztlichen Direktor einen Antrag auf Erlaubnis, mir das Beatmungsgerät mitzugeben: Ich sei Muslima und Bundeswehroffizier - da könne es keinen vernünftigen Zweifel daran geben, daß ich das Gerät zurückschicken werde.

Leider versagten dann noch Opa Alis Nieren und zwei Tage später starb er. Begraben wurde er in Mekka. Die Familie fing sich und tröstete sich mit dem Gedanken, daß Gläubigen, die auf der Wallfahrt sterben, ja das Paradies versprochen sei. Ich hoffe sehr, die Angehörigen der Toten von Mina diesen Trost auch finden.


Fortsetzung folgt.