3. Oktober 2005 - Putin holt zwei Helden heim

Einige Unverbesserliche scheinen Russland aus alter Verbundenheit oder neuer Naivität immer noch als Gegenmodell zum bösen Kapitalismus zu halten. Dabei setzt nicht nur Putin deutliche, unmissverständliche Zeichen, daß er ideologisch hinter "1917" zurück will. Der von vielen Linken noch hochgehaltene Gegensatz von "Roten" und "Weissen" ist nicht nur aufgehoben, "die Weissen haben gewonnen".

 

Da die Wendung zurück auch äusserer Zeichen bedarf, fand, Im 1591 gegründeten Moskauer Donskoi-Kloster, in Gegen- wart von Wladimir Putin, unter Leitung des Patriarchen

Alexij II, am 3. Oktober 2005 der Umbettungsgottesdienst für General Anton Iwanowitsch Denikin und den nationalistischen Philosophen Iwan Alexandrowitsch Iljin statt.

 


General Anton Iwanowitsch Denikin, 1872-1947, aus Ann Arbor, Michigan umgebettet, war einer der wichtigsten Kommandeure der Weißen Armee, kämpfte gegen die Bolschewiken sowie gegen die anarchistische ukrainische Machnowtschina. Er war ebenfalls maßgeblich am - gescheiterten - Militärputsch 1917 gegen die bürgerliche Regierung beteiligt. 1947 stirbt er im US-amerikanischen Exil an einem Herzinfarkt.


Denikin durchlief die klassische Karriere eines zaristischen Offiziers: 1872 in eine russische Offiziersfamilie hineingeboren - seine Mutter war Polin - erhielt er zwanzigjährig 1892 sein Offizierspatent. Ab 1899 absolvierte er  die 2-jährige Generalstabsausbildung, die er als Major abschloss. Bis 1904 folgten die üblichen Verwendungen für einen Generalstabsoffizier, dann, nach Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges meldete er sich freiwillig in die Kampftruppe. 1914 wurde er Kommandeur einer Elitebrigade, der "Eisernen Schützen", und 1916 hatte er einen wesentlichen Anteil an den "Brussilow-Offensiven", die im Endergebnis nicht nur die deutsche Westfront durch Entlastung der Kriegsgegner dort richtunggebend schwächte (die Deutschen mussten Truppen von der West- an die Ostfront verlegen) , den Russen den größten Schlachtsieg des Ersten Weltkriegs bescherte und dem habsburgischen Verbündeten schwerste Niederlagen beibrachte, sondern dadurch den Verlauf des Ersten Weltkriegs beeinflusste.

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Nach dem Zusammenbruch der Monarchie war Denikin zunächst auf Seiten der Provisorischen Regierung und Chef des Generalstabs, überwarf sich jedoch mit dieser, beteiligte sich im August 1917 an einem Militärputsch und saß drei Monate im Gefängnis. Nach der Oktoberrevolution trat er in die Weisse Freiwilligenarmee ein. Nach einer vernichtenden Niederlage floh er 1920 mit seinen noch verbleibenden Truppen auf die Krim, übergab das Kommando an General Wrangel und ging ins Exil. Ihm werden nicht nur schwere militärische Fehler zugeschrieben, sondern auch die Verantwortung für die Ermordung von an die 100.000 Juden durch Weisse Truppen. Eine Veröffentlichung jüdischer, US-amerikanischer Gewerkschafter aus dem Jahr 1945 wirft ihm persönlich Antisemitismus vor. Nachdem er von 1921 bis quasi 1945 im französischen Exil lebte und 1945 vor dem Stalin'schen Repatriierungsfuror in die USA floh, starb er dort 1947 an einem Herzinfarkt.


Am 26. April 2005 erhielt Denikins 1919 noch in Krasnodar geborene Tochter, Maria Antonowna Denikina, bis dato französische Staatsbürgerin, durch ein Dekret Präsident Putins die russische Staatsbürgerschaft/zurück. Sie kehrte nach Russland zurück, die Umbettung ihres Vaters sei auf ihr Bitten hin erfolgt.


Der Philosoph Iwan Alexandrowitsch Iljin, 1883- 1954, gilt als derjenige Philosoph, der Wladimir Putin am tiefsten und nachhaltigsten beeinflusst haben soll. Angeblich habe Putin auch seine Entourage zum Lesen von Iljins Schriften verpflichtet. Mittlerweile wurde eine zehnbändige Ausgabe seiner Werke in Moskau neu herausgebracht.

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Iljin wird ebenfalls Einfluss auf Alexander Solschenizyn zugeschrieben.

 

Iljins Philosophie ist im weitesten Sinn idealistisch (er promoviert mit einer Arbeit über Hegel. Er war tief religiös, Gegner der Bolschewiki, Monarchist, Anhänger der weißen Armee und slawophil, das heißt Gegner einer Ausrichtung auf Europa und Besinnung auf ein "ursprünglich" Russisches). In seinem in Deutsch verfassten Werk über "Wesen und Eigenart der russischen Kultur", in dem er eine besonders geartete russische Seele, voller Empfindsamkeit und Leidensfähigkeit postuliert, die Erkenntnis erlange, indem sie sich ihn ihren Erkenntnisgegenstand "einfühle".

 

Er schreibt im Kapitel "Die belagerte Festung", Russland, das im Osten gegen Asien für die europäischen Völker stets "Schutz- und Trutzdienste" geleistet habe, habe nicht nur "erschreckend wenig" Dank bekommen, sondern sei stets "ausgenutzt" worden. Er schreibt:

 

"Daraus ist für Rußland eine ganz besondere Lage entstanden: auf ungeschützter Ebene liegend, wurde das Land von überall eingeschlossen, abgeriegelt und bekämpft, — von Osten, Südosten, Süden, Westen und Nordwesten ..."

 

Man meint förmlich, die aktuelle Variation der angeblichen Umzingelung durch die NATO herauszulesen. Er schreibt weiter:

 

"Russlands Geschichte entwickelte sich so, daß man keine Wahl hatte: es galt, kämpfen oder aufgerieben werden; Krieg führen, oder sich knechten lassen und verschwinden."

 

Der russische Bauer habe stets seine Waffe mit aufs Feld nehmen müssen.

 

1917 engagiert sich Iljin für die Konterrevolution. Hatte er sich zunächts für sozialistische Ideen begeistert, wird er jetzt zum erbitterten Gegner der neuen Macht und sammelt Geld für die "Weißen". In Broschüren schreibt er gegen den Pazifismus und Internationalismus der Bolschewiki an.

 

Iwan Iljin wird 1922 mit mehr als 160 anderen Intellektuellen aus Russland ausgewiesen. Das »Philosophenschiff«, eigentlich eine von Lenin persönlich befohlene Aktion mit insgesamt 5 Schiffstransporten, bringt fast die gesamte geistige Elite Russlands in den Westen und bürgert sie aus. Iljin geht allerdings individuell ins Exil, da für ihn, nach bis dahin 6 Verhaftungen Gefahr für Leib und Leben besteht.

Zunächst geht er nach Berlin, von 1923 bis 1934 arbeitet er als Professor an einem einem russischen Privatinstitut. Die Nazis erzwingen 1934 seine Entlassung und belegen ihn mit einem Lehrverbot. Da seine Situation in Deutschland unhaltbar wird, emigriert er noch einmal, dieses Mal in die Schweiz.

 

Iljin stirbt 1954 im Schweizer Exil und wird am 3. Oktober 2005 aus Zollikon bei Zürich ebenfalls ins Donskoi-Kloster umgebettet.

 

Weitere der seinerzeit exilierten Philosophen werden ebenfalls wiederentdeckt, sofern in ihren Werken der kulturelle Graben zwischen einem seelenvollen Russland und dem seelenlosen, kalten, materialistischen Westen auftaucht. Einem Westen, der Russland niemals verstehen können werde. Damit werden gleichzeitig die philosophischen Grundlagen dessen entsorgt, was an und in Russland materialistisch und sozialistisch war. Marxistische, sozialistische und sowjetische Autoren werden in Russland nicht mehr verlegt, konservative, idealistische und nationalistische jedoch gefördert.

 

Nach einem Philosphenkongress in Istanbul 2003 kehren die russischen Teilnehmer mit einem ebenfalls "Philosophenschiff" genannten Schiff nach Russland zurück: die von Lenin vertriebene russische Philosophie ist heimgekehrt.

 

 

Download
Wesen und Eigenart russischer Kultur
Das Werk, 1944 in deutscher Sprache verfasst, wurde 2011 wieder ins Internet gestellt. Für den, der verstehen will, wie der wiedererstandene russische Konservatismus so tickt, lesenswert.
Russische_Kultur_Iljin.pdf
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Die Umbettung der beiden markiert den Abschluss einer schon früher eingeleiteten Entwicklung: der Auflösung des Widerspruchs zwischen "Roten" und "Weissen": sowohl den Bolschewiki als auch ihren Gegnern werden Verdienste an und für Russland zugesprochen. Sputniknews zitiert zustimmend Patriarch Alexi:


„In das Volksbewusstsein kehren die Namen jener zurück, die im Ausland weiter für Russland gearbeitet und in ihren Gebeten dem Land Prosperität gewünscht hatten“,


sagte Patriarch Alexi II., der dem Zeremoniell beiwohnte.


Sputnik zitiert weiter:


"Die Heimkehr der sterblichen Überreste von General Anton Denikin und des Philosophen Iwan Iljin zeugt von der Wiedervereinigung des Volkes, das durch die tragische Geschichte des vorigen Jahrhunderts getrennt worden war,"

fügte der Patriarch hinzu.


Während des Zeremoniells sei Salut geschossen worden und ein Militärorchester sei aufgetreten.

Wie die Publizistin Sonja Margolina richtig bemerkte: Die Weißen haben gewonnen.


Auch die meisten der von einigen Linken so verehrten Helden des Donbas berufen sich heute eher auf die "Weissen", wie das Portal "Informnapalm" darlegt. "Novorossiya" ist definitiv ein rechtes Projekt.


Was, um Himmelswillen, bringt so viele Linke dazu, sich daran festzuklammern?