Die Flüchtlingskrise und ich - Teil 1

Bildnachweis: GAG-Köln/bilderbuch-Koeln.de

Ich komme aus dem „hillige Kölle“, der Stadt, in der neben echter katholischer Frömmigkeit auch immer die übelste Katholerei zu Hause war; aus dem Vorort, der einmal „Kalkerfeld“ hieß, in dem man 1936 eine „weiße Stadt“ für des Führers treue Beamte eingeweiht hatte. In Köln geboren zu sein, heißt, mit mehreren Wellen von Flucht, Vertreibung und Migration konfrontiert gewesen zu sein. Mit Hilfsbereitschaft, aber auch mit Kälte, Ausgrenzung und Mobbing gegenüber unerwünschten Minderheiten.


Das Rheinland, die Völkermühle


Das ist der Text, der mich in meinem Selbstverständnis ganz wesentlich geprägt hat, deswegen stelle ich ihn meinen Ausführungen voran. Links daneben mein Lieblingsbild von meiner Oma Klara - dunkle Haut, schwarze Haare, schwarze Augen, Gott weiß, woher...


Der berühmte Text stammt aus "des Teufels General" von Carl Zuckmayr: einer seiner Untergebenen war von seiner Verlobten verlassen worden, denn die Herkunft einer der Urgroßmütter des ansonsten aus einer alten rheinischen Familie stammenden Leutnant Hartmann war unklar. Er meldet dem General Harras...

Harras: So, Hm. Warum denn?


Hartmann, stockend, aber immer im Ton eines militärischen Rapports: Wegen einer Unklarheit in meinem Stammbaum, Herr General. Meine Familie kommt nämlich vom Rhein. Mein Vater und Großvater waren Linienoffiziere - es besteht kein Verdacht einer jüdischen Blutmischung. Aber - eine meiner Urgroßmütter scheint vom Ausland gekommen zu sein. Man hat das öfters in rheinischen Familien. Sie ist unbestimmbar. Die Papiere sind einfach nicht aufzufinden.


Harras (hat sich auf die Lippen gebissen, brummt vor sich hin.) So so. Daran liegt's. Da läuft so ein armer Junge mit einer unbestimmbaren Urgroßmutter herum. (In aufsteigender Wut) Na, und was wissen Sie denn über die Seitensprünge der Frau Urgroßmutter? Die hat doch sicher keinen Ariernachweis verlangt. Oder - sind Sie womöglich gar ein Abkömmling von jenem Kreuzritter Hartmann, der in Jerusalem in eine Weinfirma eingeheiratet hat?


Hartmann, (sachlich) So weit greift die Rassenforschung nicht zurück, Herr General.


Harras Muß sie aber! Muß sie! Wenn schon - denn schon! Denken Sie doch - was kann da nicht alles vorgekommen sein in einer alten Familie:

Vom Rhein - noch dazu. Vom Rhein. Von der großen Völkermühle. Von der Kelter Europas! Ruhiger Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor - seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant - das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt - und - und der der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald und - ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt - wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein - das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse. Seien Sie stolz darauf, Hartmann - und hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter in den Abtritt. Prost.


Quelle.

Das Landjahr und Tante Sieglinde


Die Schule meiner Mutter geriet immer mehr unter Druck, und irgendwann fand meine Mutter den BDM und seine Angebote wesentlich interessanter. Ohne meine Eltern meldete sie sich, als ein Zeugnis die gefährdete Versetzung in die nächsthöhere Klasse signalisierte,  freiwillig zum "Landjahr", einer arbeitsmarktpolitischen Veranstaltung der Nazis, die besonders Mädchen - die in kinderreichen Familien unterstützen mussten - auf ihre spätere Rolle vorbereiteten.


Sie freundete sich mit Sieglinde aus Breslau an. Sieglindes Mama hatte schon das "Mutterkreuz" in Gold, d.h., die Familie mindestens sieben Kinder und jetzt hoffte Sieglinde auf die nächste, die höchste Auszeichnung: beim zehnten Kind würde "unser lieber Führer" Pate sein. Sieglindes Vater brachte seine Familie als Kohlenträger durch - wenn er denn eine Arbeit hatte. Aber die Situation der Familie hatte sich nach Sieglindes Wahrnehmung kollossal gebessert - man hungerte nur noch selten, alle Kinder hatten Schuhe und Schulbücher und Sieglinde eine schöne BDM-Uniform. Also Grund genug, dem Führer bis ans Lebensende die Treue zu halten. Nach dem Landjahr verloren sich meine Mutter und Sieglinde zunächst aus den Augen, Sieglinde floh aus Breslau, heiratete einen Dortmunder Finanzbeamten. Ihr schon im Landjahr angegebenes erstes Lebensziel, einen guten, deutschen Mann in gesicherter Stellung, hatte sie tatsächlich erreicht, was sie meiner Mutter auf einer 1949 geschriebenen Postkarte stolz mitteilte. Am zweiten Lebensziel - der Rückkehr in ein deutsches Breslau - arbeitete sie ebenfalls emsig: sie ließ kein Schlesiertreffen aus und engagierte sich auch sonst. Meine Eltern fanden das "übertrieben".

Als sie dann, als Reaktion auf die Ostverträge, in die NPD eintrat, hielten meine Eltern es dann doch für geraten, den Kontakt abzubrechen: "Sie hat ja recht, aber das ist übertrieben, wirklich ...".


Kölner Juden auf der Flucht


"Kalkerfeld" heisst heute "Köln-Buchforst" und böse Zungen behaupten, dieser Vorort sei eines der übelsten Antisemiten-Nester Kölns gewesen. Ich bekam einmal übers Internet Kontakt zu einem ex-Kölner Israeli, der am 9. November 1938 noch beobachten musste, wie die Synagoge Roonsstraße in Flammen aufging; am folgenden Tag schickten seine Eltern ihn in die Niederlande. Als er mich einmal fragte, aus welchem Vorort ich denn käme, und ich antwortete, "aus Buchforst, ehemals Kalkerfeld", hat er sich vor lauter Schreck erstmal eine Woche nicht gemeldet. 1937 sollen die Kalkerfelder für einen ganz besonders antisemitischen Wagen ausgezeichnet worden sein und auch der Autor der folgenden Zeilen soll ein Einwohner Kalkerfelds gewesen sein:


„Et deit sich alles freue, mir sinn jetz bahl su wick,

mir wääde jetz in Deutschland, die Jüdde endlich quitt.

En jeder Stroß do hadde mer, neh Jüddelade stonn,

et jitt noch immer domme, die dobei kaufe jonn.

Met dä Jüdde es jetz Schluß. Se wandere langsam us.“


Die Bilder oben zeigen die katholische Pfarrkirche St. Petrus Canisius und die sog. "weisse Stadt", 1936 eingeweiht für des Führers treue Beamtenschaft, in der zunächst meine Großeltern eine Wohnung bekamen. Am Tag nach der "Operation Millennium" heiratete meine Mutter ihren ersten Mann, einen Marineoffizier - wegen der Bombenangriffe wurde die Braut mangels Wasser über den ganzen Bombenstaub drüber geschminkt, frisiert und eingekleidet. Das junge Paar bekam ebenfalls eine Wohnung in der "weissen Stadt". Zu weisser Stadt und Kirche später mehr.


Dann waren die Kölner "Arier" auf der Flucht.

 

Mit der "Operation Millennium" und - noch mehr - mit dem Peter-und-Pauls-Angriff, wurde Köln schwer getroffen, doch dabei sollte es nicht bleiben. Bei Kriegsende waren 20.000 Tote durch 260 Luftangriffe umgekommen, sieben von zehn Wohnungen vollkommen zerstört, die restlichen ebenfalls schwer getroffen. Hier kann man sich das ansehen. Die Wohnungen meiner Mutter und meiner Großeltern waren zwar schwer beschädigt, aber noch bewohnbar.

 

Als die Bombenangriffe zunahmen, wurden auch meine Mutter und ihre Eltern evakuiert. Der Schwiegersohn war auf Feindfahrt und geriet in britische Gefangenschaft. Meine Mutter landete in Bad Schmiedeberg, dann in der Nähe von Weimar und geriet irgendwie in die Situation, mit durch das befreite KZ Buchenwald laufen zu müssen.



Einquartierung aus Thüringen


Meine Mutter kam zurück, bezog ihre schwer beschädigte Wohnung wieder und ließ sich erstmal von ihrem aus der Gefangenschaft zurückkehrenden Mann scheiden - oder er von ihr, wie auch immer. Sie behielt die Wohnung. In Köln mussten auch viele Flüchtlinge untergebracht werden, und da man eine Dreieinhalbzimmer-Wohnung für eine einzelne, junge Frau als happig erarchtete, quartierte man bei ihr die Familie Hildebrandt ein - "Imis" aus Thüringen, evangelisch.

Der Krieg war „verlorengegangen“, „die Jüdde“ war man zwar quitt, aber dann kamen „de Imis“, die Flüchtlinge aus dem Osten, auch „Pimoken“ genannt, und mussten integriert werden. Ein Hindernis dabei war ihre Religion – in den katholischen Landstrichen, daß sie evangelisch waren, in den evangelischen Landstrichen war es umgekehrt. In Kalkerfeld, seit 1932 Köln-Buchforst, schafften es die Katholischen bis 1965, den Bau einer evangelischen Kirche zu verhindern und auch sonst bemühte man sich nicht wirklich, diese Menschen zu unterstützen. Man nannte sie "Pimoken" oder "Imis" und akzeptierte sie nicht.

Diese 14 Millionen „Pimoken“ waren - „hatten wir nicht alle unser Päckchen zu tragen im Krieg?“ - aus Gründen, die man nicht so richtig akzeptierte, in den Westen gekommen und hatten sehr lange einen sehr schweren Stand. Im Buch „Kalte Heimat“, in dem der Autor Andreas Kossert mit der verlogenen  „Erfolgsgeschichte“ der angeblich so kameradschaftlichen Aufnahme durch die verschont gebliebenen Landsleute aufräumt, geht es genau darum: an einer Stelle berichtet er explizit über Rassismus gegen ostpreußische Flüchtlinge, die man verdächtigte, nicht „reinrassig“ genug zu sein. Was sie über den Lastenausgleich vom Staat bekamen, war erstens unverdient und zweitens zu viel: JedeR von ihnen, so der Volksmund, hatte einen „Blumentopf vor dem Fenster zum Rittergut“ hochgelogen, kassierte unberechtigt viel Geld und ließ es sich gut gehen. Ausgegrenzt wurden auch die mit Filmen wie „Heimkehr“ während des Dritten Reiches „heim ins Reich“ geholten Deutschen, nicht nur, sofern sie sich als Schergen des Regimes in die Konzentrationslager oder in die Waffen-SS verdingt hatten. Hier ist übrigens die Schlüsselszene dieser grauenhaften Nazi-Grütze zu finden:


Nein, man wollte nicht mit ihnen teilen und betrieb Ab- und Ausgrenzung: Die "Volksschule", die ich ab 1960 besuchte, war eigentlich eine von zweien in einem Gebäudekomplex: die katholische Volksschule. Es gab zwei baulich voneinander getrennte Schulhöfe und niemandem wäre es auch nur im Traum eingefallen, den Schulhof der jeweils anderen Konfession zu betreten, sofern man das nicht musste. Also klare konfessionelle Apartheid. Die Katholen grüßten mit "Gelobt sei Jesus Christus" - "In Ewigkeit Amen", die Evangelen mit "Guten Tag". Kam ein katholisches Kind mit einem Auftrag in eine evangelische Klasse: "Gelobt sei Jesus Christus." - "Guten Tag!" Umgekehrt: "Guten Tag!" - "In Ewigkeit Amen". Familie Hildebrandt zog aus, als meine Mutter meinen Vater heiratete und ich auf der Welt war.

Ich glaubem man sieht auf den Bildern, daß ich diese Bravheitspräsentationen alle ziemlich daneben fand. Wieso ich das größte und kräftigste der Kommunionskinder war, wird ein anderes Mal erzählt - wir waren ja bei den Flüchtlingen.



Gastarbeiter und ein Kardinal

Bildnachweis: http://media1.faz.net/ppmedia/aktuell/wirtschaft/626966586/1.187451/default/gastgeschenk-ein-bild-das-um.jpg


Da die deutsche Wirtschaft brummte, rief man Gastarbeiter - blöderweise kamen Menschen. In Köln kamen die Gastarbeiterzüge auf Deutz-Tief an, wo vor seinerzeit noch nicht allzu langer Zeit die Deportationszüge in die Vernichtungslager "im Osten" abgefahren waren. Zunächst kamen Italiener, Spanier, Griechen, Portugiesen (einer von ihnen wurde als einmillionster Gastarbeiter mit einem Moped beschenkt). Und dann, ja, kamen Türken.

Das war etwas schwerer verdaulich, aber ein Mann erwarb sich auch da unschätzbare Verdienste: Josef Kardinal Frings.


Der Kardinal, immer das Ohr am Volk und das Herz auf dem rechten Fleck, war seinen hungernden und frierenden Kölnern schon unmittelbar nach dem Krieg geistlich beistand: das Beklauen der Besatzungsmächte sei kein Diebstahl und dafür sei unbedingt die Absolution zu erteilen. Dieses Beklauen wurde alsdann "fringsen" genannt.


Zusammen mit seinem Assistenten Josef Ratzinger war er einer der Reformtheologen, der das zweite Vatikanische Konsil mit vorbereitete und wesentliche Reformschritte maßgeblich beeinflusste. Und hier habe ich ausführlich berichtet, wie der Kardinal es möglich machte, daß die neu angekommenen türkischen Gastarbeiter ihr Id' - (=Ramadan-End-) Gebet im Kölner Dom verrichten konnten.


Das war 1965. Da war dann alles schon etwas entspannter: die Evangelischen von Köln-Buchforst bekamen ihre Kirche und so langsam etablierte sich im benachbarten Köln-Mülheim eine beliebte Einkaufsmeile, vom Volksmund die "Türkenallee" genannt: Die Keupstraße.

Mittlerweile ebenfalls etabliert hat sich eine türkische Supermarktkette, es gibt, unbeanstandet, zumindest kleinere Moscheen und fast kann man schon von Inklusion sprechen. Aber auch den Kölnern bleiben weitere Herausforderungen nicht erspart.


Fortsetzung folgt