Bildnachweis: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Der Ungarnaufstand beginnt mit einer friedlichen Großdemonstration für demokratische Rechte und gegen die sowjetische Besatzung: zunächst demonstrieren die Studenten der Budapester
Universität, ihnen schließen sich breite Bevölkerungsschichten an.
Abends lässt die Regierung in die Menge schießen. Daraufhin greifen die Aufständischen zu den Waffen. Dieser Aufstand hat eine Vorgeschichte und ist nur in Verbindung mit parallelen
Ereignissen im gesamten „Ostblock“ zu sehen.
Nach dem Krieg
In der Moskauer Friedenskonferenz hatten sich Stalin und Churchill darauf geeinigt, Ungarn keinem Machtbereich zuzuschlagen. Die Einflußverteilung wurde – zunächst mittels „Schmierzettel“, auf dem Churchill seine Vorschläge skizzierte und Stalin diese durch Handzeichen absegnete – für Ungarn mit 50-50 geregelt.
Es entstand eine breite demokratische Volksbewegung, an der auch die Kommunisten beteiligt waren. Scheibchenweise – daher der Ausdruck „Salamitaktik“, szalámitaktika, zunächst kritisch gemeint, dann von KP-Chef Rakósi übernommen – weitete die KP ihren Einfluss aus.
Die Kleinlandwirte-Partei, genauer: Unabhängige Partei der Kleinlandwirte, der
Landarbeiter und des Bürgertums, die 1945 noch 57% der Stimmen geholt hatte, war bereits 1949 aufgelöst worden.
Im Juni 1948 vereinigen sich KP und Sozialdemokraten zur „Partei der ungarischen Werktätigen“.
Matyas Rakósi
Im Juni 1952 wird Matyas Rakósi, der sich selbst als „besten Schüler Stalins“ bezeichnet, Ministerpräsident. Dies ist zeitlich die Phase, in der zunehmend nationalistische und zentrifugale
Tendenzen nach dem Vorbild Jugoslawiens die Einheit des „Ostblocks“ gefährden. Rakósi errichtet eine Terrorherrschaft, der Tausende zum Opfer fallen und weitere Tausende ohne Gerichtsverfahren in
Zwangsarbeitslagern verschwinden. Verfahren wurden gegen insgesamt zehn Prozent der Bevölkerung eingeleitet.
Auch wirtschaftspolitisch lehnte sich Rakósi an die Sowjetunion an: der Schwerindustrie wurde der Vorzug vor Landwirtschaft und Konsumgüterindustrie gegeben, was die Wirtschaft in eine erhebliche
Schieflage bringt.
Entstalinisierung
Die „Geheimrede“ von Nikita Chruschtschow am 25. Februar 1956, in der dieser mit Josef Stalin abrechnete, ließ auch in den Staaten Ostmitteleuropas Hoffnung auf Veränderung aufkommen. In
Ungarn schwelte seit 1953 ein Machtkampf zwischen dem stalinistischen Ministerpräsidenten und KP-Vorsitzenden Rakósi und dem Reformkommunisten Imre Nagy, der 1953 nur sehr unvollständig
entschieden worden war: Nagy hatte Rakósi als Ministerpräsidenten abgelöst, dieser war jedoch Parteichef geblieben.
Nagy leitete vorsichtige Reformen ein, wurde jedoch 1955 wieder seines Postens enthoben und aus der Partei ausgeschlossen.
Die Entwicklung hin zum Aufstand
Die konkrete Entwicklung hin zum Aufstand begann ab Januar 1956: Ministerpräsident Hegedüs hatte eine Rede gehalten, in der er die zunehmend guten Beziehungen zu Jugoslawien – Tito hatte 1948 mit der Sowjetunion gebrochen – und Österreich lobte. Das Signal wurde verstanden. Am 4. März konstatiert Walter Ulbricht im „Neuen Deutschland“, daß man Stalin nicht zu den Klassikern des Marxismus zählen könne und ergreift so die Flucht nach vorne. Eine „rückwärtsgewandte Fehlerdiskussion“ sei allerdings abzulehnen. Am 17. März tagt zum ersten Mal der „Petöfi-Kreis“, ein von der Partei ins Leben gerufener als Debattierzirkel gedachter Kreis, der sich im Kossuth-Club trifft. Er wird in der Folgezeit so viele Menschen anziehen, daß Lautsprecher aufgestellt werden müssen, die die Debatten auf die Straße übertragen. Der Petöfi-Kreis, benannt nach dem Dichter des 1848er Aufstands, Sandor Petöfi, entwickelt sich zum Think-Tank. Der Kreis diskutierte bald auch das jugoslawische Modell und war sich einig in seiner Ablehnung des Stalinisten Rakósi sowie seines Stellvertreters Ernö Gerö.
Man wurde zunehmend mutiger
Schließlich wird man noch mutiger: das Ein-Parteiensystem und die Abhängigkeit von der Sowjetunion wurden auf den Prüfstand gestellt und verworfen. Am 27. Juni wird die fehlende Presse-, Informations-, und Meinungsfreiheit diskutiert. Als am 28. Juni (s. dort) der Arbeiteraufstand von Posen einen Höhepunkt erreicht, solidarisiert man sich mit ihnen. Mittlerweile haben sich nach dem Vorbild des Petöfi-Kreises auch andernorts Debattierzirkel gebildet, die von der Partei mit Mißtrauen beobachtet werden. Die Studenten verteilen in Budapest ein Papier, auf dem unter anderem folgende Forderungen stehen: Abzug aller sowjetischen Truppen aus Ungarn, Wiedereinsetzung Imre Nagys als Ministerpräsidenten, Allgemeine und geheime Wahlen im ganzen Land, Überprüfung der ungarisch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen, Streikrecht für die Arbeiter, Meinungs- und Redefreiheit.
Der Aufstand
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Am 23. Oktober rufen die Studenten zu einer friedlichen Großdemonstration auf. Diese sollte zum Denkmal des polnischen Generals Bem führen, der 1848 auf der Seite der Ungarn im Aufstand gegen Österreich gekämpft hat. Als die Regierung am Abend in die Menge schießen ließ, greifen die Demonstranten zu den Waffen. Der Aufstand weitete sich schnell aus. Nagy wird als Ministerpräsident wieder eingesetzt, doch eher „zum Jagen getragen“, als daß er sich, wie ihm später vor Gericht vorgeworfen wird, an die Spitze der „Konterrevolution“ gestellt zu haben. Er installiert ein Mehrparteiensystem, erklärt Ungarn für neutral und am 1. November tritt Ungarn aus dem Warschauer Vertrag / Pakt aus.
Den Sowjets gelingt es, den Aufstand mit Panzern niederzuschlagen. Am 4. November ist alles zu Ende. Imre Nagy wird am 16. Juni 1958, zusammen mit dem Verteidigungsminister seiner Regierung, Pál Maléter, und dem Journalisten Miklos Gimes wegen Hochverrats und wegen des Versuchs, die „volksdemokratische Ordnung“ zu stürzen, hingerichtet. Seine letzten Worte: „Ich bitte nicht um Gnade“, und: „Mein einziger Trost ist es, dass mich das ungarische Volk und die internationale Arbeiterklasse von jenen schweren Anschuldigungen freisprechen werden.“ Nagy und die anderen Hingerichteten wurden 1989 rehabilitiert und endlich würdevoll begraben. Heute ist Imre Nagy Ungarns Nationalheld.
Der Westen
Beschränkte sich auf Radiosendungen von Radio Liberty/Radio Free Europe. Es war, im Gegensatz zu den immer beliebten Verschwörungstheorien und der stalinistischen Propaganda niemals geplant, dort einzugreifen. Nachdem alles vorbei ist, eignen sich die Geschehnisse in Ungarn dazu, als eine der Projektionsfolien für die Schrecknisse im Reich des Bösen zu dienen. Das stellt das Eingangsbild sehr gut dar.
Die sechs wichtigsten Bücher zum Weiterlesen: