Das Elsass wird von alliierten Truppen zurückerobert. Französische Truppen ziehen in die zerstörte Stadt Straßburg ein. Im anatomischen Institut finden sie die Leichen von 86 Männern und Frauen, alle mit Schusswunden, die Männer waren beschnitten.
Der in Polen geborene Psychiater Charles Mager beschreibt in einem von Le Monde Diplomatique 1993 veröffentlichten Artikel über seinen Eindruck als Erstsemester im sog. „Präparierkurs“, die Leiche, der er zugeteilt war, sei mit „tiefen, blauen Flecken“ übersät gewesen, die meisten Leichen hätten Schusswunden aufgewiesen.
Chefanatom war der gebürtige Schweizer August Hirt. Frühere Studenten berichten, er sei ein „exzellenter Anatom“ gewesen, was in erster Linie hieß, daß er mittels „Anatomie“ die Menschen-„Rassen“ nach Wertigkeit zu sortieren wusste. Anatomie war nämlich niemals nur eine deskriptive, sondern immer auch eine hierarchisierende Wissenschaft.
Frauen als Medizinstudenten mißfielen ihm offenbar. Einer seiner – von Pierre Karli, einem seiner damaligen Studenten - dazu überlieferten Sprüche ist, daß die Studentinnen, „Weiber“ genannt, sich im Hörsaal „nach hinten scheren“ möchten, er könne „den Menstruationsgeruch nicht leiden“.
Einer seiner damaligen Assistenten wird dreissig Jahre später in seinen eigenen Vorlesungen – unbeanstandet - der Frage nachgehen, warum so viele deutsche Frauen, anstatt deutschen Männern deutsche Kinder zu schenken, meinten, sie müssten selber studieren und so eben jenen deutschen Männern die Studienplätze wegnehmen.
Einer seiner – in enger Zusammenarbeit mit dem Straßburger Residenten des SS-„Ahnenerbes“, Wolfram Sievers – durchzuführenden Aufträge ist, was denn genau, „rassisch“ gesehen, einen Juden ausmache. Schließlich will man bei der Massenvernichtung keine Fehler machen.
Zu diesen Zwecken will Hirt eine Schädelsammlung von „Untermenschen“ einrichten, zu der nicht nur Juden das Material liefern sollen, sondern Opfer aus allen Völkern der Sowjetunion – ausgesucht von einem seiner Assistenten in den deutschen Kriegsgefangenenlagern. Die notwendigen „anthropometrischen“ Messungen hatte man ja seinerzeit in „Deutsch-Südwest“ an den Herero üben können.
Der Auswahlort mit den meisten Möglichkeiten war – Auschwitz. Mit der Auswahl wurde ein Münchner Anthropologe, Bruno Beger, beauftragt. Die Gefangenen wurden im KZ Natzweiler-Struthof untergebracht, aufgefüttert und dann, unter tätiger Mithilfe des damaligen Lagerkommandanten Josef Kramer vergast, der sich als mit-treibende Kraft erwies und den Bau einer kleinen Gaskammer veranlasste. Kramer wurde u.a. auch deswegen hingerichtet.
An den Männern war der Einfluss von Stress und Todesangst auf die Fruchtbarkeit untersucht worden. Dafür hatte man ihnen jeweils einen Hoden entnommen. Die entsprechenden Versuche an Frauen, für die man die Eierstöcke hingerichteter Widerstandskämpferinnen verwandte, wurden in Berlin durchgeführt. Deren Versuchsleiter fiel nach dem Krieg weich in den Wissenschaftsbetrieb der DDR, wurde 1952 mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet und, nach seinem Tod im gleichen Jahr, vom Neuen Deutschland mit einem enthusiastischen Nachruf bedacht. Über ihn wird noch gesondert berichtet.
Weiter unternahm man Fleckfieber- und Giftgas-(S-Lost)Versuche.
Als die Alliierten vor der Türe standen, entschied man sich, die Beweise, die sterblichen Überreste von 86 jüdischen Männern und Frauen, zu vernichten und die Leichen unkenntlich zu machen. Man zerstörte bei fast allen die Köpfe, schnitt die tätowierten Nummern heraus und vierteilte die Körper, die man sodann weiter in den Formalin-Wannen des Instituts sammelte – nichts unnötig umkommen lassen… Lediglich 16 Leichen fielen unzerstört in die Hände der Alliierten.
Anklage wurde erhoben. August Hirt entzog sich der irdischen Gerechtigkeit und erschoss sich am 2. Juni 1945, Wolfram Sievers wurde im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt und verurteilt. Auf den Tag genau drei Jahre nach Hirts Selbstmord wurde Sievers in Landsberg gehängt.
Der Anatomiehelfer Henry Henrypierre hatte sich die Nummern der in die Anatomie angelieferten Toten aufgeschrieben und so konnte der deutsche Autor Hans-Joachim Lang den Nummern ihre Namen zurückgeben. Lang veröffentlichte 2004 das Buch, "Die Namen der Nummern", in dem er die Lebensläufe der 86 Ermordeten dokumentierte.
2013 stellen die Journalistin Sonia Rolley und die Filmemacher Axel und Tancrède Ramonet ihren Film „Au nom de la race et de la science“, Im Namen von Rasse und Wissenschaft, vor.
Bildnachweis: Filmstill aus der Pressemitteilung zum Film
Hier ist der Film, leider nur auf Französisch ohne Untertitel: