Ganz offensichtlich wird jetzt alles mit allem verknüpft: haust Du mich wegen der Flüchtlinge, haue ich Dich wegen der Gasturbinen in Krasnodar. Und heute schießt Martin Schulz den Vogel ab und mischt sich aus meiner Sicht ganz krass in interne polnische Angelegenheiten ein. Es geht um die Kontrolle der neuen, im Ausland als nationalpopulistisch empfundenen Regierung über das Verfassungsgericht. Dagegen und dafür sind am Wochenende zehntausende Polen auf die Straße gegangen. Zu diesem Thema hat Schulz heute einen dermaßen krassen Kommentar abgelassen, daß die polnische Regierungschefin eine Entschuldigung fordert. Und wer, sekundiert von Luxemburgs Aussenminister Asselborn mit so schwerem Geschütz wie "Vertragsverletzung" auftrumpft, sollte sicher sein, sich selbst tadellos zu verhalten. Die Siemens-Turbinen hängen besonders den Polen sehr quer im Hals.
Natürlich wird Schulz bei so einem Auftritt nicht als Präsident des Europäischen Parlaments wahrgenommen, sondern als - na? Ja, richtig, als Deutscher, und das auch in Medien im europäischen Ausland. Die Kanzlerin sollte dringend ein Machtwort sprechen. Das Folgende schreibt die französischsprachige Zeitung lalibre.be:
Bildnachweis: Laurent Dubrule/Reuters
Polen: Martin Schulz beschwört einen Staatsstreich und Warschau ist wütend
Der deutsche Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, hat am Montag die Situation in Polen als "dramatisch" bewertet und mit einem "Staatsstreich" verglichen. Damit hat er den Zorn der polnischen Regierung heraufbeschworen, die von ihren Kritikern beschuldigt wird, alle Mach an sich reißen zu wollen.
"Was sich da in Polen abspielt, hat Staatsstreich-Charakter und ist dramatisch. Ich nehme an, dass wir in dieser Woche im Europaparlament, spätestens in der Januar-Sitzung darüber umfassend diskutieren werden." sagte der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz zum Thema in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Die polnische Premierministerin Beata Szydlo äusserte als Antwort, daß sie von Schulz eine Entschuldigung gegenüber Polen erwarte.
"Eine solche Erklärung - und es ist nicht das erste Mal, daß die Verlautbarungen von solcher Art und in einem solchen Ton sind - jedenfalls, sofern es Polen betrifft, aus meiner Sicht unakzeptabel", erklärte sie vor Journalisten.
"Ich erwarte von Martin Schulz nicht nur, daß er solche Äusserungen in Zukunft unterlässt, sondern auch, daß er sich bei Polen entschuldigt", beharrte sie.
Aus seiner Sicht, so der polnische Aussenminister Witold Waszczykowski seien die Äusserungen von Schulz als "unbegründet, ungerechtfertigt und skandalös" zu bewerten.
Die polnische Opposition wirft der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS, konservative Populisten), die jetzt die polnischer Regierung stellt, vor, alle Macht in ihren Händen konzentrieren zu wollen und eine Gefahr für die Demokratie darzustellen.
Die neueste Polemik dreht sich um den ungeschickten und rechtlich zweifelhaften Versuch, Richter am Verfassungsgericht einzusetzen, die den beiden wichtigsten Parteien nahestehen, der Bürgerplattform (Zentrum, bis zu den Wahlen an der Macht) und der PiS.
Zuvor hatte Frau Szydlo die Chefs der vier Nachrichtendienste ersetzt. Und die PiS hat eine Reform der öffentlichen Medien angeregt, die sie der Parteilichkeit beschuldigt.
Schulz ist trotzdem zurückhaltend, nach Sanktionen gegen gegen Länder zu rufen, in denen, wie in Polen oder Ungarn, die Populisten an die Macht gekommen sind.
Er sagt: "Wenn die Rechtspopulisten das Argument in die Hand bekommen, äußere Kräfte, Fremde, andere Länder, fremde Institutionen würden versuchen, sich in die Innenpolitik ihres Landes korrigierend einzumischen, haben sie den größten Zulauf. Deshalb rate ich dringend dazu, dort immer sehr vorsichtig zu sein mit Maßnahmen".
Meine Bewertung
Aus meiner Sicht zeigt dieser Vorfall, wie vergiftet das Klima mittlerweile ist. ich frage mich wirklich, warum er diese Äusserungen in einem ansonsten sehr ausgewogenen und eigentlich mutmachenden Interview, in dem es mit Masse ja garnicht um Polen ging so rausgehauen hat.
"Staatsstreich" ist aus meiner Sicht unakzeptabel, die neue Regierung, die einem ja nicht gefallen muß, wurde in einem ordentlichen Verfahren gewählt.
Was ich mich weiter frage: wieso wird gerade Polen jetzt so angegangen? Der Aussenminister Luxemburgs, Jean Asselborn bläst ja in dasselbe Horn, macht das jedoch wesentlich geschickter und wirbelt nicht so viel Staub auf. Es ist mir allerdings genauso unverständlich.
Meines Wissens hatte man, nach den Sanktionen 2000 gegen Österreich wegen der Regierungsteilnahme der FPÖ, beschlossen, keine Sanktionen gegen ein Mitgliedsland mehr zu verhängen.
Hat man auch nicht verhängt, als offensichtlich wurde, daß in Griechenland einer der beiden Koalitionspartner über extrem enge Beziehungen zu den russischen Faschisten verfügt und sich der Verdacht auftat, daß Moskau ein gewichtiges Wörtchen bei der griechischen Innen- und Verteidigungspolitik mitzureden hat. (Hier, hier und hier). Die fette Milliardenspritze, die Griechenland bekam, hätte sicherlich so mancher osteuropäische Staat auch gerne gehabt.
Und ja, die Scheinriesin Le Pen - deren Vater, ein Folterer des Algerienkrieges und Holocaust-Verharmloser schon über beste Beziehungen nach Russland verfügte, "Putins Stipendiatin", mit einer fetten Geldspritze befeuert, die im EU-Parlament die fetten Diäten einstreicht, obwohl sie in einem Interview bereits getönt hat, sie wolle die EU zerstören, und die in Moskau schon mit militärischen Ehren empfangen wurde, und all die anderen Rechtspopulisten, die von Girkin-Besitzer Malofejew mit dicken Summen gepampered werden? Um Frankreich zu gefallen - was ich bis zum ersten Wahlgang nachvollziehbar fand, beteiligt man sich jetzt am angeblichen Krieg gegen den IS und läuft Hand in Hand mit Hollande in die von Putin aufgestellte Falle.
Warum jetzt also Polen?
Und wenn man so ein Faß aufmacht, sollte man sicher sein, daß man nicht selber gegen EU-Recht und EU-Vereinbarungen verstößt. Kann Deutschland das? Was ist denn mit Nord-Stream, das gegen den erklärten Willen der baltischen Staaten und Polens durchgezogen werden soll? Wieder mal schließt Großdeutschland (Deutschland und Österreich) mit Russland einen Vertrag gegen die Interessen der Osteuropäer?
Hoffentlich schiebt die EU-Kommission da noch einen Riegel vor. Und was ist mit den Siemens'schen Gasturbinen? Hält dieser, schon etwas ältere Deal einer Prüfung auf Sanktionstreue stand? Das kann ich nicht beurteilen, aber es mutet sehr merkwürdig an, wie Messen mit zweierlei Maß.
Also, warum jetzt Polen?
Ich würde sagen, als Ablenkung. So einfach, so hässlich... Wenn man sich die polnische Geschichte seit 1795 bis zum Ribbentrop-Molotow-Pakt ansieht, offenbart dieses Verhalten eine Geschichtsvergessenheit, die einen schaudern lässt.
Auf der Schulz-Collage oben steht in der gelben Sprechblase die Äusserung aus dem Interview: "Das, was sich jetzt in Polen abspielt, besitzt Züge eines Staatsstreichs und ist sehr dramatisch." Die Antwort: "Na und, Schulz, schickst Du die Luftwaffen-Bomber sofort nach Warschau, oder kannst Du es noch bis zum 1. September aushalten?" (Danke an Marian Karol Panic für die Übersetzung). Das zeigt, wie Deutschland von vielen Polen mittlerweile wieder gesehen wird. Zeit, sich Sorgen zu machen.Kreisau ist zur Zeit sehr weit weg.
Und die Freude der Polen über den EU-Beitritt auch. Video bis zur Schlußszene ansehen - lohnt sich!