"Haltet aus, der Führer holt Euch raus," damit hatten die in Stalingrad eingekesselten Soldaten ertragen, daß ihnen der Ausbruch aus dem Kessel verboten worden war.
Und als sie in der Ferne die Gefechtsgeräusche des Entlastungangriffs der Panzergruppe Hoth hörten, vertrauten sie - ein letztes Mal - der Weisheit des "Größten Feldherrn aller Zeiten"
und dem militärischen Genie des völlig überschätzten Generalfeldmarschalls Manstein, der nach dem Krieg von "verlorenen Siegen" schwadronierte. Einen anderen verdienten Truppenführer, General
Walther von Seydlitz-Kurzbach brachte diese Tragödie dazu, mit dem Regime zu brechen.
Vergeblich: "pünktlich zum Heiligen Abend" verstummten, wegen Treibstoffmangel, die Gefechtsgeräusche der Panzergruppe Hoth, die sie hatte retten sollen und ihnen allen wurde klar, daß sie verloren waren. Da wollte ein Pfarrer und Truppenarzt sie mit einer Zeichnung trösten und schuf eine Friedensikone: die Madonna von Stalingrad.
Bildnachweis: Lutherisches Verlagshaus
Verloren im Kessel - die Vorgeschichte
Sich aus einem Kessel zu befreien oder einen Feind einzukesseln, gilt als Grundfähigkeit eines Truppenführers und es wurden während der Kämpfe an der Ostfront sowohl deutsche als auch sowjetische Großverbände mehrfach eingekesselt und konnten sich auch wieder befreien oder wurden befreit.
Somit nahm die verblendete politische und militärische Führung die verzweifelte Lage der 6. Armee nicht zur Kenntnis. Hitler sendete einen Durchhaltebefehl und der Oberkommandierende der 6. Armee, Generaloberst, später Feldmarschall Friedrich Paulus wagte es nicht, diesem Befehl zuwider zu handeln. Nur einer der Generale, Walther von Seydlitz-Kurzbach, Sproß einer hochangesehenen preußischen Offiziersfamilie, positionierte sich deutlich gegen das Durchhalten. Man hielt ihm jedoch vor, daß gerade er wissen müsse, daß man einen Kessel auch von aussen aufbrechen könne: ihm selber war es gelungen, am 28. April 1942 eingekesselte Truppen aus dem Kessel von Demjansk zu befreien.
Nach dem Vorbild der erfolgreichen Öffnung dieses Kessels, führte die 4. Panzerarmee, unter dem Kommando des Generalobersten Hoth, seit dem 12. Dezember einen Enlastungsangriff, die von Generalfeldmarschall Erich von Manstein geplante und geleitete „Operation Wintergewitter“, der mit einem Ausbruchsangriff, der „Operation Donnerschlag“ kombiniert werden sollte. Mangels Treibstoff blieben viele Panzer liegen, ein zweiter Grund für den Abbruch war, daß die Nachfolgeoperation der „Operation Uranus“ - die den Stalingrader Kessel geschlossen hatte - die Operation „Kleiner Saturn“ die Stabilität der gesamten Front bedrohte.
Der Verzweiflung entgegenwirken
Man versuchte der aufkommenden Verzweiflung, die, so spätere Erlebnisberichte übereinstimmend, fast alle Soldaten erfasste, entgegenzuwirken. Einer der Truppenärzte, Dr. med. lic. theol. Kurt Reuber, war auch Künstler und ordinierter Pfarrer. (Die Geistlichen beider Konfessionen wurden, so sie nicht als Militärgeistlichliche eingesetzt waren, als Sanitäter an die Front geschickt). Reuber war von seinem pietistisch-protestantischen Elternhaus und der Freundschaft zu Albert Schweitzer gleichermaßen geprägt. zwei Tage vor der Schließung des Kessels aus dem Heimaturlaub zurückgekehrt, bereitete in einem der Bunker einen Gottesdienst vor. Dazu zeichnete er, auf der Rückseite einer erbeuteten sowjetischen Karte, eine Schutzmantelmadonna. Die Darstellung der Muttergottes mit den Gläubigen unter ihrem schützenden Mantel bedeutet, daß diese Gläubigen ihrem besonderen Schutz unterstellt werden. Die Schutzmantelsymbolik ist nicht nur bei den "lateinischen", sondern auch bei der russisch-orthodoxen Kirche geläufig. Das Madonnenbild wird, zusammen mit 150 weiteren Zeichnungen, zusammen mit einem schwerverwundeten Offizier, aus dem Kessel ausgeflogen und an Reubers Familie übergeben.
Von Seydlitz' Schicksal
Da Kurt Reuber ihn sehr schätzte und auch mit dem Nationalkomitee Freies Deutschland sympathisierte, muß Seydlitz' tragische Geschichte zuende erzählt werden:
General von Seydlitz-Kurzbach geriet nach der Kapitulation am 31. Januar 1943 in sowjetische Gefangenschaft. Mit Hitler hatte er mittlerweile gebrochen und war somit bereit, den Vorsitz des im September 1943 gegründeten "Bund Deutscher Offiziere" zu übernehmen. Der BDO ging jedoch sehr schnell im Nationalkomitee Freies Deutschland auf, das, im Gegensatz zum BDO, auch Zivilisten als Mitglieder hatte. Vorsitzener des NKFD war der kommunistische Schriftsteller Erich Weinert. Aufsicht führte der Geheimdienst GRU, die kommunistischen Mitglieder bestimmten die Linie. In die Führungsebene aufrücken ließ man nur Angehörige niedriger Dienstgradgruppen wie Hauptleute und Feldwebel. Da dies auch in Deutschland bekannt war, war das NKFD, das schon in den Gefangenenlagern polarisierte, dort vollkommen diskreditiert. Seydlitz wandte sich in Radioansprachen an die noch kämpfenden Offiziere und Soldaten. Besonders diesen Radioaufruf -vom 7. Februar 1944, hier das Transskript :
nahm man ihm äusserst übel und er brachte ihm das volle Programm der Nazi-Justiz ein: Todesurteil in Abwesenheit wegen Hochverrat, Zwangsscheidung von der Ehefrau, Aberkennung sämtlicher Orden und Ehrenzeichen, Aberkennung seiner Pensionsansprüche.
Bildnachweis: „Bundesarchiv Bild 183-P0926-309, Sowjetunion, Sitzung des NKFD“ von Bundesarchiv, Bild 183-P0926-309 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0. General von Seydlitz-Kurzbach, neben ihm sitzt Erich Weinert. 2.v.li: Heinrich Graf Einsiedel, von 1994 bis 1998 Bundestagsabgeordneter der PDS.
Die Pensionsansprüche
Der unterschiedliche und willkürliche Umgang mit den Pensionsansprüchen sagt viel über die junge Bundesrepublik: Seydlitz wurde nämlich die ihm zustehende Pension verweigert. Zugestanden hätte ihm die Pension eines NATO-Dreisternegenerals. Er bekam sie nicht und ich habe nirgendwo etwas gefunden, daß er sie je bekommen hätte. Den vergleichbaren Dienstgrad hatte auch ein SS-Obergruppenführer, wie z.B. Reinhard Heydrich. Ihm wurde die Pension posthum nicht aberkannt, sodaß sich seine Witwe über die Pension der Witwe eines Dreisternegenerals freuen durfte, genau wie die Witwe von Heinrich Himmler und die Witwe von Roland Freisler, die, freilich auf einem niedrigeren Dienstgrad-Niveau. Witwe Freisler hatte die Pension in dieser Höhe erstritten, einschließlich eines Zuschlags für das unplanmäßige Ableben ihres Gatten, der somit, so das Gericht, unplanmäßig daran gehindert worden war, auch der Bundesrepublik gute Dienste zu leisten. Auf dieses Urteil konnten sich die Witwen Heydrich und Himmler dann berufen.. 1956 wurden sowohl das Todesurteil, als auch die Zwangsscheidung und die Aberkennung der Orden und Ehrenzeichen aufgehoben. Ich habe nirgendwo etwas darüber gefunden, ob das zur Zuerkennung seiner Pension und evtl einer Entschädigung geführt hat. Falls jemand eine Quelle hat, wäre ich dankbar, wenn sie mir zugänglich gemacht werden könnte. Den Stolperstein hat er jedenfalls verdient und an sein Schicksal sollte erinnert werden. Übrigens bedurfte die 1955 neugegründete Bundeswehr seiner Dienste nicht.
Das Schicksal von Kurt Reuber und der Weg des Bildes
Auch Kurt Reuber ging in Gefangenschaft und wurde im Offizierslager Jelabuga/Tatarstan interniert. Für die Lagerzeitung schrieb er, als Antwort auf einen Artikel des Generals von Seydlitz folgenden offenen
"Brief an eine deutsche Frau und Mutter":
Uns sind in der Verkettung von Schuld und Schicksal die Augen für die Schuld weit geöffnet worden. Weißt Du, vielleicht werden wir am Ende unseres jetzigen schweren Weges noch einmal dafür dankbar sein, dass uns durch scheinbare Enttäuschung unserer ‚Adventserwartung‘, durch alles Leid der vorjährigen und auch der diesjährigen Weihnacht eine wahre Erlösung und Befreiung des einzelnen und des Volkes zuteil wird. Nach alter Tradition ist Adventszeit zugleich Zeit der Selbstbesinnung. So ganz am Ende, vor dem Nichts, im Bann des Todes – welch eine Umwertung der Werte hat sich in uns vollzogen! So wollen wir diese Wartezeit nützen als innere Zurüstung auf ein sinnerfülltes neues Dasein und Wirken in unserer Familie, im Beruf, im Volk. Mitten auf unseren adventlichen Todesweg leuchtet schon das Freudenlicht der Weihnacht als Geburtsfest einer neuen Zeit, in der – wie hart sie auch sein möge – wir uns des neugeschenkten Lebens würdig erweisen wollen.
Bildnachweis: Privatbesitz
Dazu schuf er, auf Luftpost-Briefpapier eine zweite Schutzmantel-Madonna, die "Gefangenenmadonna". Reuber starb am 20. Januar 1944 im Lager an Flecktyphus. Auch diese Zeichnung ist heute im Besitz seiner Familie.
Viele Kopien der Stalingrad-Madonna finden sich in Kirchen in ganz Europa. Die erste Kopie erhielt die wieder aufgebaute Kathedrale von Coventry. Coventry und seine Zivilbevölkerung wurden als eine der ersten britischen Städte von der deutschen Luftwaffe angegriffen - mein Vater saß in einer der Maschinen und das machte ihn das erste Mal nachdenklich.
Die Stalingradmadonna wurde somit zum Symbol der Versöhnung.Das Original wurde von einem Sohn Dr. Reubers an die Öffentlichkeit übergeben und hängt seit dem 26. Oktober 1983 in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.