Die heutigen Anschläge in Brüssel sind entsetzlich und mit nichts zu rechtfertigen. Dem gesamten belgischen Volk muß unsere Solidarität und unser Mitgefühl gelten und wir trauern mit den Angehörigen. Wie anlässlich der Anschläge von Paris. Nach den Anschlägen von Paris zeigte die gesamte Welt ihre Solidarität, und das wird sie sicherlich jetzt auch wieder tun. In den Sozialen Netzwerken sind, genau wie im letzten Jahr, Vorschläge für Profilbilder und Header aufgetaucht, und es können die bislang bei vielen noch immer auf den Timelines von Facebook und Twitter vorhandenen Frankreich-Bekundungen gegen solche für Belgien ausgetauscht werden. Doch es gab - auch unlängst weitere Anschläge - doch deren Opfer wurde weit weniger gedacht - sogar wenn Deutsche unter diesen Opfern waren.
Privilegierte Trauer? Geteiltes Mitgefühl?
Mit den Anschlägen in Paris sei, so war es landauf-landab zu hören, "unsere Lebensweise" angegriffen worden. Die Motive der pseudomuslimischen Killer zu erörtern, soll nicht der Gegenstand dieses Artikels sein, sondern ein offensichtlich geteiltes, ein 2-Klassen-Mitgefühl. Die Menschen in Europa zeigten Frankreich ihre Solidarität, es erschienen in den Sozialen Medien hashtags, mit einer transparenten Tricolore überlagerte Profilbilder (die bei einigen bis heute nicht geändert wurden), ausführliche Fernsehberichte und lange Portraits in den Printmedien.
Es zeigt sich, daß genau das auch jetzt wieder in Bezug auf Belgien gemacht wird.Unser Innenminister gab den Narrativ wieder vor und erklärt auch jetzt wieder, wir
ließen uns unsere Lebensweise... Und die Hohe Aussenbeauftragte der EU, Federica Mogherini weint und kann eine Pressekonferenz in Jordanien nicht zu Ende führen, worüber ich weißgott nicht
lästern möchte.
Mogherinis Tränen und die vergessenen Opfer
Trauer für die Opfer von Paris und Brüssel - alles gut und richtig, doch warum keine Tränen, keine
Hashtags, keine keine über das Profilbild zu legenden transparenten Landesflaggen, keine Erklärungen, #je suis..., oder so, für die Opfer der Anschläge von zum Beispiel Bamako, Mogadischu,
Ouagadougou, Bagdad, Istanbul oder Abidjan.
Einigen Usern bei Facebook fiel schon auf, daß man auf die jüngsten, dem IS zuzurechnenden Anschäge in Istanbul nicht reagiert hat, doch Empathie für die Opfer von z.B. Bagdad oder Abidjan wurde noch nicht eingeklagt und den Opfern der "Schwesterorganisation" des IS, Boko Haram wurden auch noch keine transparenten nigerianischen Landesflaggen gewidmet. Der Ausnahme, die entführten Schulmädchen, wurde aus meiner Sicht nur deswegen so viel Beachtung geschenkt, weil sie für Viele das Klischee vom frauenfeindlichen Islam transportiert.
Bamako: Im November 2015 , eine Woche nach den Anschlägen von Paris, wurde in der malischen Haupstadt Bamako ein Luxushotel angegriffen. Es wurden von einem lokalen al-Qaida-Ableger 170 Geiseln genommen, die, mit Hilfe amerikanischer und französischer Spezialeinheiten, zwar beendet werden konnte, aber 27 Menschen das Leben kostete. Unter den Opfern waren keine Deutschen, Paris überdeckte alles und so verschwand dieses Ereignis bald aus dem Focus.
Mogadischu: Nachdem es im November bereits zu einem Anschlag der jiahdistischen al-Shabab-Miliz gekommen war, griff al-Shabab im Januar erneut an - ein Hotel und Restaurant in der Hauptstadt. Beides im Overflow untergegangen.
Ouagadougou: Ebenfalls im Januar traf es die Hauptstadt von Burkina Faso. Es wurden durch "al-Qaida im Islamische Maghreb" zwei Hotels angegriffen. 27 Tote. War das bei irgendwem angekommen?
Bagdad: Ende Februar führte der IS mehrere Anschläge auf ein von Schiiten bewohntes Viertel durch. Daß jemand darob geweint hätte, daß es einen Hashtag "#prayforbagdad gegeben hätte, ist mir nicht bekannt. Was mir aber bekannt ist: wenn die Opfer solcher Gräueltaten flüchten, z.B. unter Lebensgefahr über die Balkanroute bleiben ihnen die Türen der Festung Europa verschlossen. Irakische Flaggen tauchten nirgendwo auf.
Istanbul: Hier hat der IS im Januar und im März blutige Anschläge verübt. Beim ersten kamen zehn Deutsche ums Leben, nach pressewirksamen Äusserungen deutscher Politiker*innen - ein Teil von ihnen im Wahlkampfmodus - war dann wieder Schweigen. Empathie für die Menschen in der Türkei - Fehlanzeige. Keine türkischen Flaggen und fb-Bildchen.
Abidjan (Grand Bassam): In der Hafenstadt Grand Bassam/Elfenbeinküste griff
"al-Qaida im Islamische Maghreb"zuerst einen Badestrand, dann drei Hotels an. Es kamen 18 Menschen ums Leben und auch
dieser Anschlag und seine Opfer scheinen schon vergessen und auch ihnen wurden keine transparenten Overlays und kein "je suis" gewidmet.
Warum wird nicht um sie getrauert?
So langsam setzt sich im Netz - allerdings noch nicht auf deutschsprachigen Seiten - die Erkenntnis durch, daß es nicht nur in Paris und Brüssel Opfer gibt, um die man trauern muß. Daß es nicht nur eine globale Bedrohung durch diese Tollwütigen gibt, sondern auch ausserhalb Europas Menschen gestorben sind, die vielleicht nicht der ach so verteidigenswerten "unsere Lebensweise" frönten, aber die auch ihren Lieben fehlen. Im Diskussionsstrag schlägt jemand vor, zusätzlich den hashtag "#blacklivesmatter" zu verwenden, was den Vorwurf macht, die selektive Trauer sei auf eine rassistische Einstellung zurückzuführen. So weit würde ich nicht gehen, allerdings: tendenziell ist hier das gleiche Überlegenheitsgefühl am Werke, daß heute verkommene Polikerinnen von AFD, CDU und Linkspartei dazu brachte, zynisch ihr Süppchen auf dem Leid der Opfer von Brüssel zu kochen.
Ein Anfang...
Der Anfang wäre, in den Sozialen Netzwerken und den übrigen Medien alle Anschläge und deren Opfer, seien sie Europäer*innen, Araber*innen oder Afrikaner*innen gleich zu betrachten, zu verurteilen, zu betrauern. Oben die Sammlung von Hashtags gehört dazu. Auch der Hashtag #aufdieliebe ist schon mal ein Anfang, obwohl er eher meint: auf die Liebe trinken (und davon selfies posten). Da gibt es bestimmt noch viele kreative Ideen, die alle eine zeigen sollten:
Es gibt keine Opfer Erster und Zweiter Klasse!