Die usbekische Nanny - dröhnendes Schweigen in Russlands Staatssendern

Von Darina Gribova, globalvoices.org, 4. März 2016

Der Artikel erschien unter der Überschrift "Warum das russische Fernsehen nichts sagte, als eine Nanny ein vierjähriges Mädchen umbrachte". Gribova - und nicht nur sie - stellen dieses Schweigen der sonst rührigen Propaganda im "Lisa"-Fall und bei der Verbreitung auch krudester Fakes, wie der Story vom "gekreuzigten Knaben", gegenüber und fragt nach dem Grund.

Ansonsten erinnert die Debatte an vergleichbare Debatten nach den Ereignissen von Köln.

Mittlerweile erscheint übrigens gesichert, daß die Frau schon länger an Schizophrenie erkrankt ist und deswegen bereits in Usbekistan stationär in der Psychiatrie behandelt wurde. Auch, wenn die Geschichte jetzt schon länger zurückliegt (29.Februar), bedarf der Fall weiter der Beobachtung.

Bildnachweis: Gultschehra Babakulowa. screenshot youtube.

Ein Kindermädchen hat Anfang vergangener Woche in Moskau ein  vierjähriges Mädchen ermordet. Gutschehra Babakulowa stach  das Mädchen am 29. Februar mit einem Dolch in den Nacken, enthauptete sie und setzte danach die Wohnung der Familie in Brand. Das Mädchen, Nastja, war seit mehr als einem Jahr in ihrer Obhut.

Anschließend ging sie nach draußen, schwarz angezogen, hielt ein Taxi an und fuhr zur nächsten U-Bahn-Station. Dort holte sie Nastjas Kopf aus ihrem Rucksack, hielt ihn in die Höhe,schrie: "Allahu Akbar!" und drohte damit, sich in die Luft zu sprengen. Horrorvideos, aufgenommen von Überwachungskameras gingen im Internet viral. 24 Stunden lang sagten russische Staatssender nichts.

 

Navalnys Gegenüberstellung

Es könnte sein, daß Babakulowas Drohungen mit einer Terrorattacke die Polizei dazu brachte, extrem vorsichtig zu sein.doch einige der härtesten Kremlkritiker haben ausgeführt, daß die Polizei beinahe eine Stunde benötigte, um Babakulowa zu verhaften. Der Anti-Korruptions-Aktivist Alexej Navalny stellte diese Reaktion der verzugslosen Polizeiarbeit gegenüber, wie sie oft mobilisiert werde, um politische Proteste zu bekämpfen:

 

Standards der russischen Spezialkräfte:

 

  • Stell Dich mit einem Anti-Putin-Plakat an eine Metro-Station - fünf Minuten bis zur  Verhaf- tung.
  • Stell Dich mit einem Kinderkopf an eine Metro-Station und brülle "Allahu Akbar" - 1 Stunde.

Das Schweigen der wichtigsten Fernsehsender über den Vorfall beleidigte nicht nur russische Liberale, die gewohnheitsmäßig die Kontrolle des Kreml über die Medien beklagen, sondern auch mehrere Nationalisten, die argumentierten, daß die Regierung die Bedrohung durch die Einwanderer vor der Öffentlichkeit zu verbergen versuche. Das nationalistische Medienunternehmen Sputnik & Pogrom, - die die deutsche Öffentlichkeit bereits mit einem unsäglichen "Appell" beglückte. DS -  krönte Babakulowa zur "usbekischen Mary Poppins und teilte eine Infografik, die zuerst auf der Internetseite des Journalisten Oleg Kaschin erschien, und die das komplette Fehlen einer Berichterstattung bei den Staatssendern demonstrierte.

 

Anfang der vergangenen Woche - also der Woche vor dem 7. März.DS -  berichteten die russischen TV-Nachrichten über verschiedenes, einschließlich der in Workuta tödlich verunglückten Bergleute, Europas weiterbestehende Flüchtlingskrise, des Krieges in Syrien und der Oskar-Verleihungen.

 

Einen Tag, nachdem Babakulowa festgenommen worden war, bestätigten zwei Journalisten, die für nationale TV-Sender arbeiten, der Nachrichtenagentur RBC  - kyrillisch: РБК - anonym, daß der Kreml befohlen habe, den Mord zu ignorieren.

 

Putins Pressesprecher, Dimitri Peskow bestritt später, daß TV-Sender unter Druck gesetzt worden seien und fügte hinzu, daß der Kreml die Entscheidung unterstütze, "keine verrückten Leute zu zeigen". Er sagte weiter, daß dieser Zwischenfall nicht mit dem Thema "interethnische Beziehungen" verbunden oder vermischt werden sollte.

 

Überschrift über der Grafik: Berichte über die Killer-Nanny in den russischen TV-Sendern am 29.3.2016

 

 

Vielen Internetnutzern fiel die pötzliche Aversion der russischen Fernsehsender auf, Nachrichten von Blut und Blutvergiessen zu verbreiten, die in den vergangenen Jahren im Berichten über den Konflikt in der Ukraine stets prominent herausgestellt worden waren.

 

Übersetzung:

  • Links: Nachrichten über einen dreijährigen Jungen, der auf einem zentralen Platz von ukrainischen Soldaten gekreuzigt wurde. (Was real niemals stattfand).
  • Rechts: Nachichten über ein Mädchen in Moskau, das von einer illegalen Migrantin enthauptet wurde, die mit dem abgetrennten Kopf in der Nähe einer Moskauer Metro-Station herumlief.

 

 

"Der nichtexistente gekreuzigte Junge in der Ukraine wurde in den russischen Nachrichten eine größere Sensation als der abgetrennte Kopf eines Kindes in Moskau."

 

 

"Sie zeigen die Nanny-Story nicht im Fernsehen, denn sie ist nicht Ukriane, Syrien, oder Deutschland, wo ein Mädchen von zuhause weglief und nach einem Tag zurückkam."

 

Der Unwillen der Fernsehstationen, über diese Geschichte zu berichten, als sie eine Eilmeldung verdient gehabt hätte, macht Sinn: Neuigkeiten über ein usbekisches Kindermädchen, das ein russisches Kind geschlachtet hat, könnten Hass und Gewalt gegen die Millionen zentralasiatischer Migranten schüren, die in Moskau und im ganzen Land leben.

Und schließlich erhalten die meisten Russen ihre Nachrichten aus dem Fernsehen. Während es manchmal Sinn macht, zu schweigen, ist die Ethik, die Öffentlichkeit im Dunkeln zu lassen, eine andere Geschichte. Kritiker sagen, das russische Fernsehen selbst sei dafür verantwortlich, die ansteigenden Gewaltlevel in Russland weiter zu kultivieren.

Wie Julia Muchnik, eine Journalistin in Tomsk sagte: "Das gegenwärtige gesamtrussische Fernsehen wurde für reine Propagandazwecke errichtet und vergaß darüber, wie man professionell als Verbreiter von Informationen funktioniert."

 

Die Fernsehstationen brachen erst einen Tag nach der Tötung ihr Schweigen, als Kanal 1 einen 30-Sekunden-Clip über das Verbrechen sendete: eine Bürgerin Usbekistans werde verdächtigt, in Moskau ein Mädchen ermordet zu haben. Die Moderatorin wies darauf hin, daß die Verdächtige eine Geschichte psychischer Erkrankungen habe, einschließlich einer Behandlung wegen Schizophrenie. Der Sender erwähnte weder Babakulowas Namen, noch andere Details.

Russische Journalisten diskutierten online über die Entscheidung der Fernsehstationen, so lange damit zu warten, bis sie Nachrichten über den Mord sendeten.

Ein Konsens wurde nicht erreicht, und sogat einige Kreml-Kritiker unterstützen die Entscheidung der Sender, so lange zu schweigen, wie sie es getan haben. Der Journalist Anton Dolin hat sich dazu auf Facebook geäussert. Er nannte den Fall eine Synecdoche, die zu gefährlichen Generalisierungen und Stereotypisierungen führen könne. (Synecdoche - bezeichnet eine rhetorische Figur: ein einzelner Ausdruck steht für einen ganzen Sachverhalt und richtet sich an Addressaten, die bereits "Bescheid wissen": "Washington macht" - für die US-Politik, "Downingstreet" für die britische. DS)

 

Die Übersetzung von Dolins Post

Welche Schlüsse wird das Massenpublikum aus diesem Fall ziehen?[…]

  • Babysitter sind gefährlich,
  • ein Fremder in der Familie führt zu nichts Gutem,
  • unausgebildete und unterbezahlte Nannys sind besonders gefährlich,
  • Nannys aus Mittelasien sind grässlich,
  • Muslime sind scheußlich,
  • schwierige oder nicht ganz gesunde Kinder sind eine schwere Bürde, eine die dazu führen kann, daß sich jemand so ein Kind schnappt und umbringt.

Jedes dieser Stereotype ist gefährlich, viel gefährlicher als ein Babysitter mit einer Axt, der "Allahu Akbar" schreit.

Während Dolin mit seiner Unterstützung der Fernsehesender nicht alleine steht, meinen viele russische Jornalisten, daß es unakzeptable ist, solch eine Nachricht zurückzuhalten. Doch viele dieser Reporter bestehen darauf, daß der Bericht über solche Ereignisse ausschließlich professionellen Journalisten vorbehalten bleiben soll.

Währenddessen demonstrierten russische Politiker wesentlich weniger Interesse an Ethik. Ein Zweig der Kommunistischen Partei erschuf das stilisierte Bild einer Frau mit Hijab, die einen abgetrennten Kopf trägt, um damit neue Restriktionen gegen Einwanderung zu fördern.

 

Der Duma-Abgeordete Dmitry Gudkow rief die Politiker auf, den entsetzlichen Mord nicht weiter zu mißbrauchen, um ihre eigene politische Agenda voranzutreiben. Nach zahlreichen Klagen wurde das beleidigende Bild von der Website der Kommunistischen Partei entfernt.

Gultschehra Babakulowa hat ihre Schuld eingestanden und bei Gericht gesagt, sie habe den Mord bereits seit mehr als einem Monat geplant. Sie sagte, Allah habe ihr befohlen, das Mädchen zu töten, und daß dies die Rache für Wladimir Putins Luftschläge in Syrien sei. Eine Quelle sagte der Nachrichtenagentur Interfax, die Polizei habe in Babakulowas Telefon die Telefonnummern von zwei Männern mit Verbindungen zu extremistischen Gruppen gefunden. Am Freitag, den 4. März wurde Babakulowas formell wegen Mordes, Brandstiftung und Falschaussage wegen eines Terroraktes angeklagt.