Zwar hat, so Correctiv, die AfD mittlerweile einige Punkte aus ihrem Wahlprogramm gestrichen, doch die z.B. aus der Schweiz abgepinnte Forderung nach Minarett- und Gebetsruf hat sie beibehalten. Erstaunlich, wo sie doch mit Thomas Tillschneider einen Islamwissenschaftler in Ihren Reihen hat, über den im Internet zu lesen ist:
"Tillschneider ist Gründer des „Arbeitskreises Islam“ und Mitglied der Patriotischen Plattform in der AfD. Er nimmt regelmäßig an den Montagsdemonstrationen des Protestbündnisses Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes kurz PEGIDA teil." Ausserdem soll er LEGIDA beraten. Was dran ist, kann ich natürlich nicht beurteilen und deswegen distanziere mich vorsichtshalber von allem, was evtl.so nicht stehenbleiben kann.
Aber zurück zu dem, was die Salafisten freuen muss: das Verbot von Minarett und Muezzinruf.
Bildnachweis: Haram-Moschee in Mekka, eigenes Archiv
Die Moschee im Islam
Die Geschichte der Moschee im Islam beginnt mit der Geschichte der Prophetenmoschee von Medina, auf die ich mich im Folgenden beschränken werde. Vorab: zum Beten braucht der Muslim keine Moschee und auch kein Minarett. Selbst Festgebete werden häufig auf freien Plätzen verrichtet, was oft als viel schöner empfunden wird. Die erste Moschee war ein schlichter Lehmbau für die Handvoll Gefährten Mohammeds und diente als Mehrzweckraum: tagsüber war sie, außerhalb der Gebetszeiten, Aufenthaltsort für die, die sich der Religion widmen oder aus anderen Gründen zusammenkommen wollten. Nachts konnten diejenigen dort schlafen, die sonst keine Bleibe hatten. Die Wohnung des Propheten lag unmittelbar neben dem Gebetsraum. Unter dem Boden dieser Wohnung wurde er auch begraben. Deswegen gehörte die Integration des Grabes auch zu den ersten Erweiterungen des Gebäudes. Im Medienmuseum Medina kann man die gesamte Bauentwicklung bis zum heutigen Tag an Modellen verfolgen.
Bescheidenste Anfänge: Prophetenwohnung unmittelbar neben der Moschee, Bastmatten als Schlafunterlagen und Gebetsteppiche -
Quelle: Medienmuseum Medina
Der erste Muezzin, Bilal al-Habashi, ein abessinischer Sklave, der, nachdem einer der Prophetengefährten dem Propheten von einem Traum berichtet hatte, wegen seiner schönen Stimme mit dem Gebetsruf betraut wurde, stieg laut Hadith-Überlieferung auf eine erhöhte Stelle, um seine schöne Stimme ertönen zu lassen. Das kann auch schon das Dach in Medina gewesen sein, doch so genau ist die Überlieferung nicht. Genau wissen wir hingegen, daß er nach der Eroberung Mekkas auf die Ka’aba stieg, um von dort aus seinen Ruf ertönen zu lassen. Somit bedurfte es für den Gebetsruf keines Minaretts. Ein wesentlicher Grund für die ersten Erweiterungen war, daß gegenüber der Prophetenwohnung mehrere Wohnungen für die Ehefrauen Mohammeds, die “Mütter der Gläubigen“ unmittelbar an die Moschee angebaut wurden, die man später in die gesamte Moschee integrieren wollte. Damals maß die Moschee ca. 70 x 40 m und, im Übrigen musste sich Kalif Uthman ibn Affan nach der Ermordung seines Amtsvorgängers, Umar ibn al-Chattab, bereits um Sicherheitserwägungen in der Moschee kümmern.
Damals und heute
Erst der sechste Kalif, Al-Walid bin Abdul Malik, Walid I., unter dessen Amtszeit der Herrschaftsbereich des Kalifats seine größte Ausdehnung hatte und auch die Umayyaden-Moschee in Damaskus und der Felsendom gebaut wurden, baute, als er die Gemächer der Prophetentochter Fatima in eine erneute Erweiterung der Moschee integrierte, vier Minarett-ähnliche Anbauten. Das könnte man natürlich in Beziehung setzen: Islam auf dem Gipfel der Macht, also Minarette… Doch gleichzeitig wird berichtet, daß Kalif Walid in Byzanz um Unterstützung bei der Verschönerung der Moschee bat: er hätte Mangel an Handwerkern und wünsche sich darüber hinaus Mosaike. Aus Byzanz kamen 20 – christliche – Handwerker, und so kam die Prophetenmoschee zu ihren ersten Mosaiken. Auch die berühmten Sonnenschirme in Medina wurden von einer schwäbischen Firma gebaut, und deren Architekt, Bodo Rasch, hat in Mina, einem weiteren Pilgerort Tausende von Zelten für die Pilger aufgestellt.
Bildnachweis: ein Blick auf die Prophetenmoschee durch eines der Eingangstore - eigenes Archiv.
Es gab mehrere große Renovierungen, die der Moschee unter anderem die berühmte Grüne Kuppel in der osmanischen Zeit und andere Erweiterungen brachten. Heute hat das riesige Areal nicht nur viele Minarette, sondern auch sonst alles, was die Pilger benötigen, einschließlich eines Gesundheitszentrums für die kostenlose Behandlung der Pilger. Eine Moschee ist für Muslime eben nicht nur ein Ort des Gebetes, sondern auch der Begegnung. Und: der Muslim braucht zum Beten kein Minarett, ja, nicht mal eine Moschee, denn gebetet werden kann überall.
Es geht nicht um Bauten, es geht um die Botschaft
Alles ist, wenn man so will, Schmuck, ganz einfach dem Wunsch entsprechend, sich seinen Gottesdienst schön zu gestalten. Dies hat in allen Epochen zu den herrlichsten Kunstwerken geführt und zu Bilderstürmen – und dafür stehen die Gefolgsleute des Schweizers und christlichen Reformators Johannes Calvin, genauso wie die des Arabers Ibn Abd el-Wahhab und die heutigen Salafisten.
Salafisten akzeptieren bekanntermaßen nur die Traditionen der Gefährten und noch zweier Generationen danach. Und da erst der sechste Kalif angefangen hatte, die Moschee mittels Minarett zu verschönern, gilt das den Salafisten als Bid'a, unerwünschte Neuerung.
Bildnachweis: die berühmten schwäbischen Sonnenschirme. Eigenes Archiv.
Der letzte prominente Salafist war der 1999 verstorbene Scheich Abdelaziz bin Baz, "Hofprediger" des Königshauses, einige Jahre Großmufti und Vorsitzender des Rats der Ulema, der Rechtsgelehrten. Auf ihn berufen sich viele "Salafisten" im Westen.
Bin Baz vertrat noch bis 1966 ein geozentrisches Weltbild: alle Gestirne, einschließlich der Sonne kreisten um die Erde. Stehe jedenfalls so im Koran. Nun ja, da man im Westen seit Kepler nicht mehr davon ausgeht, kam die Erkenntnis irgendwie nicht so gut. Richtig böse Menschen brachten sogar das Gerücht in Umlauf, Ibn Baz habe behauptet, die Erde sei eine Scheibe, was dem Königshaus eine Stellungnahme abverlangte, die diese Aussage als bösartiges Gerücht bezeichnete. Man muss fairerweise erwähnen, daß Ibn Baz schon in frühester Jugend erblindet war. Die Moscheen seiner Anhänger erkennt man in der islamischen Welt am Fehlen eines Minaretts. Als 2009 das Minarettverbot in der Schweiz vom Stimmvolk der Schweiz abgesegnet wurde, waren die Salafisten jedenfalls höchst entzückt und geneigt, das für sich als Sieg zu verbuchen. Darüberhinaus bilden frustrierte und an der Wahrnehmung ihres Grundrechts auf freie Religionsausübung gehinderte Muslime, wie ja jetzt wieder überall zu hören ist, das beste Rekrutierungspotential für den IS. Somit für IS und ISlamkritiker eine win-win-Situation.
Die Bin Baz gewidmete Moschee, in der er bis zu seinem Ableben gepredigt hat. Minarettlos.
"Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab
wie den Muezzinruf"
Ja, brat mir einer einen Storch! Wie unoriginell! Wer hat das denn wo abgeschrieben? Hat Herr Tillschneider das gesehen?
Ich denke, nach dem oben Geschriebenen müsste eigentlich klar sein, daß das Unfug ist. "Herrschaftssymbol" war übrigens nicht nur in Saudi-Arabien der Bildersturm. Die Wahhabiten zerstörten nämlich die ihnen suspekten Heiligengräber (auch in Mekka und Medina, in der Nähe des Prophetengrabes). Und was Ihro Durchlaucht, die Herzogin doch wissen müsste: nicht nur, daß die böhmische Königswürde für den calvinistischen, frisch gekrönten Friedrich I., geb, Friedrich V. von der Pfalz, genannt Winterkönig erledigt hatte, als dessen Hofprediger, Abraham Scultetus, auf sein Gehieß im Prager Veitsdom einen Bildersturm durchführte, womit sich für die katholischen Böhmen der Deutschland-Import erledigt hatte - nein, auch das Schicksal der eigenen Verwandtschaft, der Romanows ging mit einem fiesen Bildersturm einher. Hatte die Verwandtschaft doch, zum Dank für den Sieg über Napoleon eine schöne Kathedrale erbauen lassen, die 1931 gebilderstürmt und gesprengt wurde. Durch die Bolschewiken! Nur gut, daß der in der AfD ja auch sehr geschätzte Wladimir Putin jetzt diese Schäden nach und nach beseitigt, gelle?
Und jetzt, Herr Gauland, ganz tapfer sein:
Bildnachweis: Wikipedia. 1931: die Christ-Erlöser-Kathedrale wird gesprengt.
Putin eröffnet die 10.000 Gläubige fassende, neuerrichtete Versammlungs-Moschee (russ. Sobornaya, arab. Juma). Bild: dpa
Putin eröffnet in Moskau eine, wie der Islamkritiker sagt, Großmoschee mit 10.000 Plätzen. Das nenne ich mal wahre Größe. Obwohl: eiferte die Kanzlerin dem nach, würde das die Salafisten betrüben. Das wollt Ihr von der AfD ja nicht, so einig wie Ihr Euch seid...