25. März: Estland gedenkt der Opfer der sowjetischen Verbrechen

Aus Estonian world 25.03.2016

 

Am 25. März wurden auf dem Freiheitsplatz in Tallin, wie jedes Jahr, zwanzigtausene Kerzen angezündet, eine für jeden Mann, jede Frau, jedes Kind, das 1949 von den Sowjets nach Sibirien deportiert worden war. Fast 3% der Bevölkerung Estlands wurden innerhalb weniger Tage ergriffen und in entfernte Gebiete Sibiriens verschleppt.

Bildnachweis: Jedes Jahr am 25. März werden auf dem Freiheitsplatz in Tallin 20.000 Kerzen angezündet. (c) estonianworld

Im Sommer 1940 besetzte, als Ergebnis des infamen Molotow-Ribbentrop-Pakts, die Sowjetunion Estland, Lettland und Litauen. Dieser Pakt zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion war am 23. August 1939 unterschriebe worden. Als Nachspiel zum Zweiten Weltkrief verlor Estland ungefähr 17,5% seiner Bevölkerung.

 

Die sowjetische Besatzung führte zu einem Ereignis, wie man es bis dahin nur in Geschichtbüchern hatte lesen können und das in den vegangenen Jahrhunderten zu einer schrecklicheen Erinnerung wurde: Massendeportationen, die alle Nationalitäten betrafen, die in Estland leben. 

Der zwei Deportationswellen, die Estland am schlimmsten trafen, am 14. Juni 1941 und am 25. März 1949, werden in jedem Jahr als nationale Trauertage begangen.

Die Deportation vom Mürz 1949 war die größte; mehr als 20.000 Menschen, in der Mehrzahl Frauen und Kinder, wurden aus Estland deportiert.

Keha mälu (Body Memory, 2011),

ein Film von Üko Pikkow, Musik Mirjam Tally, Kersti Ala-Murr (Klangholz), Jaak Lutsoja (Akkordion), Tönu Jöesaar (Cello und Elektronik). (Der exzellente Trickfilm thematisiert die transgenerationale Weitergabe der erlittenen Traumata.)

"Zusammenfassung:

Was kann uns ein alter Apfelbaum erzählen? Welche Geheimnisse sind in seinen Wurzeln verborgen und über die Zeit dort festgeknotet worden? Erinnert er sich and die Schlange und das verlorene Paradies?

Unser Körper erinnert sich an mehr als wir erwarten und uns vorstellen. Er hat das Leid und den Schmerz unserer Vorfahren gespeichert. Er hält die Geschichten unsereer Eltern und Großeltern genauso lebendig wie diejenigen ihrer Vorfahren. Doch wie weit kann man in der körperlichen Erinnerung zurückgehen?
Die Stop-Motion-Animation "BODY MEMORY" hat als zentrales Konzept den Gedanken, daß unser Körper sich nicht nur an individuelle Erfahrungen erinnert, sondern auch an die Not und den Schmerz unserer Vorfahren.
Ispiriert von historischen Ereignissen: den Deportationen aus Estland in den Vierziger Jahren.

 

Prolog zu den Deportationen

Am 23. August 1939 schlossen die Sowjetunion und Nazideutschand den sogenannten Molotow-Ribbentrop.Pakt, dessen Geheimes Zusatzprotokoll Mittel- und Osteuropa in die jeweiligen Einflussspären unterteilten. Am 1. September 1939 begann Deutschland den Zweiten Weltkrieg mit dem Angriff auf Polen. Am 17. September begann der andere Vertragspartner des Pakts, die Sowjetunion, ihren Platz einzunehmen und fiel von Osten in Polen ein. Gleichzeitig konzentrierte sie starke Kräfte an den Grenzen der drei baltischen Staaten und Finnlands.

Obwohl die estnische Regierung zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ihre komplette Neutralität erklärte, setzte die Sowjetunion Estland mit direkten militärischen Drohungen unter Druck, einen sogenannten gegenseitigen Beistandspakt zu unterzeichnen. Das führte zur Errichtung von sowjetischen militärischen Stützpunkten in Estland.

Vergleichbare Verträge zwang man auch Estlands südlichen Nachbarn, Lettland und Litauen auf. Die Ernsthaftigkeit des sowjetischen Drucks und der sowjetischen Drohungen wurde dadurch demonstriert, daß, als Helsinki sich weigerte, einen Vertrag mit Moskau zu schließen, die UdSSR in Finnland einfiel: Das war der Winterkrieg. Die Völkergemeinschaft reagierte auf die sowjetische Aggression, indem sie die UdSSR aus dem Völkerbund warf. 

Bildnachweis: sowjetische Truppen 1940 in Tallin. (c) estonianwold

Die Sowjetunion besetzte Estland und annektierte es mit Gewalt, zusammen mit Lettland und Litauen, im Sommer 1940, auf der Basis des obenerwähnten Molotow-Ribbentrop-Pakts,

Auf Inititative der sowjetischen Behörden wurden in den baltischen Staaten illegale Parlamentswahlen mit manipulierten Ergebnnissen organisiert, die jedoch von den westlichen Demokratien nicht anerkannt wurden. Die sowjetischen Behörden richteten verzugslos eine Terrorherrrschaft, die auch die estnischen Minderheiten zu Opfern machten, wie zum Beispiel Juden und Russen. Ein Schwerpunkt wurde auf die Eliminierung der kulturellen, wirtschaflichen, politischen und militärischen Elite Estlands gelegt.

Während des Krieges fiel Nazideutschland in einen Teil der Sowjetunion ein und besetzte Estland vom Juli 1941 bis zum September 1944. Danach richtete die Sowjetunion ihr Besatzungsregime wieder auf.

 

Vorbereitung auf die Unterdrückung

Die Sowjetunion hatte bereits vor der Besetzung mit der Vorbereitung des Terrors gegen die estnische Zivilgesellschaft begonnen. Der Zweck des kommunistischen Terrors war es, von Anfang an jeglichen Widerstand zu unterdrücken und den Menschen von Anfang an große Furcht einzuimpfen, um auch für die Zukunft jeglichen organisierten Wiederstand zu verhindern.

In Estland hatte die geplante Auslöschung der herausragenden und aktiven Menschen, genau wie die Vertreibung großer Gruppen zum Ziel, die estnische Gesellschaft und Wirtschaft zu zerstören. Die Listen der zu repressierenden wurde im Voraus wohl vorbereitet. Betrachtet man die Akten der sowjetischen Sicherheitsorgane, so scheint es, daß die sowjetischen Behörden schon in den frühen Dreissiger Jahren angefangen haben, Daten über Personen, die der Repression unterworfen werden sollten: Hochrangige Soldaten, frühere Politiker, Mitglieder von Organisationen der freiwilligen Landesverteidigung, Mitglieder stiudentischer Organisationen, Personen, die aktiv an antisowjetischen bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen hatten, Offiziere der Sicherheitspolizei und Polizei, einheimische Reprässentanten ausländischer Firmen und ganz allgemein Menschen mit Kontakten ins Ausland, Unternehmer und Bankiers, Kleriker und Mitglieder des Roten Kreuzes. Ungefähr 23% der Bevölkerung passten in diese Kategorien.

 

Sowjetischer Deportationszug in Kresy, Sibirien, (c) estonianworld

Die sowjetischen Sicherheitsorgane begannen mit ihren repressiven Aktivitäten in Estland schon vor der formalen Annektierung, während der Besatzung.

Im Juni 1940 wurden die Ersten aus politischen Gründen festgenommen, und von da aus nahm die Zahl zu. Am 17. Juli wurd der letzte Oberbefehlshaber der estnisschen Streitkräfte, Johan Laidoner und seine Frau nach Penza ins Exil geschickt. Am 30. Juli 1940 wurde der Präsident der Republik Estland, Konstantin Päts mit seiner Familie in Ufa exiliert. Beide, General Johan Laidoner und Präsident Konstantin Päts starben in Gefangenschaft in der Sowjetunion.

 

Massendeportationen

 

Die Vorbereitungen für die Massendeportationen begannen nicht später als 1940 und waren Teil der umfassenden Gewalt, die sich von 1939-1940 gegen die von der Sowjetunion okkupierten Territorien richtete.

Die Gebiete der Ukraine und Weissrussland waren die ersten, die von Depoertationen getroffen wurden. Die erste schriftliche Referenz, daß die Esten nach Sibirien deportiert werden sollten, findet sich in den Notizen von Andrej Schdanow, Stalins Bevollmächtigtem, der im Sommer 1940 die Vernichtung der Unabhängigkeit Estlands beaufsichtigte.

 

Karte der Deportationen 1941 von Estland aus. (c) estonianworld.

Die erste Deportation fand am 14. Juni 1941 statt, als mehr als 10.000 aus Estland deportiert wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Sowjetunion Estland wieder besetzt hatte (nach einer kurzen Periode deutscher Besatzung), fing unter den sowjetischen Behörden eine Diskussion über eine erneute Massendeportation an.

Heimliche Vorbereitungen dauerten mehr als zwei Jahre, und im März 1949 war die Besatzungsmacht so weit, eine erneute Massendeportation durchzuführen. Im Verlauf der Operation,die am 25. März 1949 began, wurden mehr als 20.000 Menschen, mehr als 3% der estnischen Bevölkerung, wurden innerhalb weniger Tage ergriffen und in entfernte Gegenden Sibiriens verschleppt. Die Deportation wurde von der Kommunistischen Partei gefordert, um die "Kollektivierung" zu vollenden und die "Kulaken als Klasse" zu eliminieren. Beinahe ein Drittel derjenigen, die man zu "Kulaken" erklärt hatte, schafften es, ihren Häschern zu entkommen. Wie der 1. Sekretär der estnischen KP, Nikolai Karotamm berichtete, wurden dafür andere Familien "geschnappt", damit man "die Quote erfüllen" konnte.

 

Sowjetische Deportationen 1949 in Estland (c) estonianworld

Die Mehrheit der 1949 Deportierten waren Frauen (49,4%) und Kinder (29,8%). Der jüngste Deportierte war noch kein Jahr alt, die Älteste 95 Jahre. Im Deportationszug wurden mindestens zwei Kinder geboren. Es existieren Unterlagen über vier Kinder, die man ohne ihre Eltern von Rakvere nach Sibirien geschickt hatte, nachdem man sie zweit Tage als Geiseln und Köder gehalten hatte, um ihre Eltern in die Falle zu locken.

Besonders unmenschlich war die zweite Deportation von Kindern, die das erste Mal 1941 deportiert worden waren, und denen man Ende des Krieges die Wiedervereinigung mit ihren Verwandten erlaubt hatte. 5000 Esten wurden in den Omsker Oblast geschickt, in diejenige Region, die direkt durch das Testgebiet von Semipalatinsk beeinflusst wurde. Von 1949 bis 1956 wurden hier etwa 260 Atombomben, sowohl Kernspaltungs- als auch Kernfusions-Bomben gezündet. Die Opfer der dadurch verursachten Strahlenkrankheit wurden für Jahrzehnte ohne medizinische Behandlung gelassen. Kranken Menschen und den Eltern der mit Abnormalitäten geborenen Babys erzählte man, sie hätten sich mit Brucellose, einer Tierkrankheit, infiziert.

Erst Ende der fünfziger Jahre hatten die, die diesen Leidensweg überlebt hatten, die Chance, in ihre Heimat zurückzukehren, doch trotz ihrer teilweisen Rehabilitation blieben sie Sowjetbürger zweiter Klasse. eine große Zahl von ihnen blieb weiter auf dem Radar der Staatssicherheit, ihr konfiziertes Eigentum bekamen sie nicht zurück und eine formelle Entschuldigung wurde nie ausgesprochen.

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