Erster Einsatz der „Gaswaffe“ durch deutsche „Gaspioniere“ in Ypern/Belgien. Um 18:00, bei günstigem Nord-Nordostwind wurden im Frontabschnitt zwischen Bixschoote und Langemarck 1600 große und 4100 Chlorflaschen zum Abblasen von insgesamt 150 Tonnen Chlor geöffnet.
Die am häufigsten genannten Opferzahlen: 15000 Gasvergiftete, 5000 Tote.
Von den „französischen“ Toten sollen nach einigen Quellen die Mehrzahl Algerier gewesen sein.
Chlorgas wirkt nicht nur durch unmittelbare Schädigung der Lunge, sondern auch durch direkte Reaktionen mit Aminosäuren, Proteinen und Enzymen. Dadurch werden lebenswichtige Stoffwechselprozesse blockiert.
Der 22. April 1915 wird als international erster Tag des gefechtsmässigen Einsatzes von Giftgas angesehen – geforscht hatte man schon länger, besonders in Deutschland unter der Leitung von Professor Friedrich Haber, dem Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie, heute Fritz-Haber-institut der Max-Planck-Gesellschaft. Fritz Haber, ein jüdischer Deutscher gilt als der Prototyp eines Wissenschaftlers im Dienst eines Staates, der den Satz geprägt hat, daß die Wissenschaft im Frieden der ganzen Welt gehöre, im Krieg jedoch nur dem ‚Vaterland‘. Den Versuch am 22. April überwachte er persönlich.
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Ein hoher persönlicher Preis
Haber war mit einer begabten Chemikerin verheiratet: Clara Immerwahr, ebenfalls jüdisch wie er, ebenfalls aus vermögendem Haus und von der Familie unterstützt, wie er. Clara war die erste Frau, die in Deutschland, an der Uni Breslau, im Fach Chemie promoviert wurde.
Der wesentliche Unterschied: Clara war eine Frau. Die Ehe war 1915 schon vollkommen zerrüttet, was erstens daran lag, daß Haber von seiner Frau verlangte, als seine Ehefrau auf eigene Ambitionen zu verzichten. Er selber verzichtete auf garnichts, nicht einmal auf eine Geliebte. Clara war auf Volkshochschulkurse mit Themen wie "Der Einfluss der Chemie im Haushalt" verwiesen, verfasste jedoch auch Aufsätze und Zeitungsartikel, in denen sie vor der "Gaswaffe" warnte.
Nach dem erfolgreichen Einsatz wurd er von Kaiser Wilhelm vom Vizefeldwebel zum Hauptmann sprungbefördert, d.h., über viele Dienstgradebenen hinweg. Das wollte er zuhause mit Kameraden - und Geliebter - feiern. Die gedemütigte Clara erschoss sich, während im Haus ihr Mann mit Gästen und Geliebter feierte, mit dessen Dienstwaffe.
Nach dem Ersten Weltkrieg stand Habers Name auf einer Kriegsverbrecherliste der Alliierten ziemlich weit oben. Die Zuerkennung des Nobelpreises für Chemie 1919 war mindestens ebenso kontrovers diskutiert wie später der Friedensnobelpreis für Obama.
1933 wurden auf Drängen der Nazis sowohl er als auch sämtliche jüdischen Mitarbeiter des Instituts entlassen. Haber lehrte kurzzeitig in England und folgte dann einer Einladung von Chaim Weizmann (ebenfalls ein gelernter und begabter Chemiker) nach Israel. 1934 verstarb er auf der Reise dorthin.
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Die enttäuschten Hoffnungen der jüdischen Soldaten
Haber erhoffte sich, wie viele jüdische Deutsche, daß das Engagement der Juden im Ersten Weltkrieg honoriert werde und die letzten Restriktionen fielen, so die, daß Juden in Zukunft die gleiche Offizierskarriere offenstehen sollte wie ihren christlichen Kameraden. Doch schon 1916 zeigte sich, daß für die jüdischen Soldaten der "Dank des Vaterlandes" ausblieb. Am 1. Oktober trat die diskriminierende Verordnung über die "Judenzählung" in Kraft: vorgeblich wollte man Gerüchten entgegentreten, die jüdischen Deutschen würden sich drücken und in der "Etappe", also weit entfernt von der Front, aus dem Krieg Profit schlagen, während die christlichen Deutschen in den Schützengräben verbluteten. Das Ergebnis soll für die antisemitischen Auftraggeber so vernichtend gewesen sein, daß man vorzog, es nicht zu veröffentlichen. Die Juedische Allgemeine zitiert dazu einen Kommentar des, später ermordeten deutschen Aussenministers, Walther Rathenau, ebenfalls ein jüdischer Deutscher:
"Je mehr Juden in diesem Krieg fallen, desto nachhaltiger werden ihre Gegner beweisen, dass sie alle hinter der Front gesessen."
Gemeinsame Weiterarbeit mit den Sowjets
Nach dem verlorenen Krieg wurde den Deutschen im Versailler Vertrag untersagt, weiter Chemiewaffen zu besitzen oder zu entwickeln. Aus der Verlegenheit halfen jedoch die Sowjets.
Nachdem man sich mit dem Vertrag von Rapallo ein gehöriges Stück näher gekommen war, und auch die Zusammenarbeit der Streitkräfte vereinbart wurde, wurde unter Anderem ein deutsch-sowjetisches Joint-Venture gegründet, die Aktiengesellschaft BERSOL. Die Zusammenarbeit wurde 1933 auf Weisung Adolf Hitlers beendet.
Bildnachweis: Reichskanzler Wirth mit drei sowjetischen Unterhändlern in Rapallo. Bundesarchiv
Einsätze chemischer Kampfstoffe zwischen den Kriegen
Nachdem 1925 der Einsatz von chemischen Kampfstoffen als mittel des Kriegs gegen andere Staaten das erste Mal geächtet worden war, wurde er nur noch bei Einsätzen im Inneren akzeptiert. Und zu diesem "Inneren" gehörten die jeweiligen Kolonien. Somit wurden Chemische Kampfstoffe von der Kriegs- zur Unterdrückungswaffe. Einige Beispiele:
- 1919: „Weiße“ Truppen setzten im russischen Bürgerkrieg Giftgas aus britischer Lieferung ein, wobei britische Truppen durch Gasangriffe aus der Luft unterstützten.
- 1919 britische Luftwaffe wirft Gasbomben am Khyber-Pass auf afghanische Stammeskrieger.
- 1920 britische Luftwaffe gegen arabische Aufständische und gegen Kurden im ölreichen Norden des Irak.
- Vereinzelte Einsätze gegen Rebellen in Algerien.
- 1921-1926: Niederschlagung des Aufstands der Rifkabylen mit deutscher Hilfe. Hugo Stoltzenberg formulierte die "Verseuchungsstrategie", eine Terrorstrategie gegen die Zivilbevölkerung: Felder, Brunnen und Marktplätze werde mit S-Lost, einer öligen Lösung verseucht.
- 1911-1932: Italien setzt überwiegend S-Lost in Libyen bei mehreren Dutzend Auseinandersetzungen ein.
- 1935-36: Italien setzt überwiegend S-Lost in Äthiopien ein.
Mit der Entdeckung des Nervenkampfstoffs Tabun begann 1936 die nächste Epoche.