Am 22. Mai wurde der unabhängige Kandidat Alexander Van der Bellen zum neuen öster-reichischen Bundespräsidenten gewählt. Ein Mann mit einer beeindruckenden Biografie, der in Österreich eine beeindruckende Unterstützerszene mobili- siert hat und dem Kandidaten der Rechtspopulisten und -extremisten den schon sicher geglaubten Sieg entreißen konnte. Ich denke, daß man im Guten und im Bösen von Österreich im Allgemeinen und von dieser Wahl in Deutschland lernen kann und muss.
Österreich hat alle überrascht
Ich denke, vielen ist es so gegangen, wie mir: seitdem ich mich mit dem Wiedererstarken des Rechtspopulismus/extremismus beschäftigt habe, stand Österreich und seine FPÖ immer weit vorne, zusammen mit dem Vlaams Belang als Motor der Rechtsentwicklung in Europa. Bei vielen Events, die dazu dienen sollten, den gesamteuropäischen Schulterschluß zwischen den Rechten zu befördern, sei es, daß man sich in Antwerpen traf, um das "islamkritische" Netzwerk "Städte gegen Islamisierung" anzuschieben, sei es, mal wieder die eigenen Auslassungen mit den europäischen Freunden zu synchronisieren.
Bildnachweis: www.stedentegenislamisering.be, das nachträgliche Logo links im Bildbereich verdeckt den ehemaligen, später aus dem Vlaams Belang ausgeschlossenen Skandalpolizisten Bart Debie
daß man in Wien den jährlichen "Akademikerball" ausrichtet, bei dem es sich die Rechtsextremisten nicht nur aus Europa gutgehen lassen: Alexander Dugin war auch schon da, Saif Gaddafi gar zweimal. Ansonsten besprechen die üblichen Verdächigen wohl bei Walzerklängen das weitere Vorgehen und ansonsten wird fleissig genetzwerkt. Und man kann sich mit "Biertönnchen" als "Burschi", als Akademiker fühlen, auch, wenn man eigentlich nur ein schlichter Zahntechniker ist, wie HC Strache (womit nichts gegen die Zahntechniker
gesagt sein soll). Und, wie war das denn mit der Aufarbeitung des "Dritten Reichs"...
Was hier meistens zu wenig bekannt ist: Österreich hatte eine beachtliche Widerstandstradition und es stünde jedem/jeder Deutschen gut an, die Namen und ergreifenden Schicksale Franz Jägerstätters, Franz Reinischs, Helene Kafkas, Josef von Gadollas sowie der Offiziere Biedermann, Huth und Raschke zu kennen. (Daß sie in Österreich genauso kontrovers betrachtet wurden und nach meinem Eindruck bis jetzt werden, laß ich mal aussen vor.).
Nach dem Krieg gingen die drei Nachfolgestaaten "Großdeutschlands" dann vollkommen unterschied- liche Wege: der Osten und Westen Deutschlands an die Seite eines "großen Bruders", Österreich erhielt mit dem Staatsvertrag von 1955 seine Souveränität zurück, und es gibt Meinungen, daß das Land damals erst das Bewusstsein entwickelte, ein eigenständiger Staat zu sein. "Nachfolgestaat" nehme ich nicht als völkerrechtliche - das war nur die Bundesrepublik - sehr wohl jedoch als moralische Kategorie.
Alle Bestimmungen des Staatsvertrags haben Verfassungsrang. Es gibt ein Anschlussverbot, mit dem Österreich auferlegt wird, von einer politischen und/oder wirtschaftlichen Vereinigung für immer abzusehen. Da die Sowjetunion jeglichen Versuchen Österreichs, der EWG beizutreten, ihren Einspruch entgegensetzte, konnte Österreich erst 1989 der EU beitreten.
Bildnachweis: Wkr-ball.at/Andreas-Moelzer.at ; beide Websites scheinen unter den angegebenen Adressen nicht mehr aufrufbar zu sein. 2, Bild: v.l.n.r.: HC
Strache, Ehefrau von Bruno Gollnisch (Front National), Ehefrau von Andreas Mölzer, A.Mölzer).
AEIOU - Allen Ernstes ist Österreich unersetzlich
Die Buchstabenfolge wird dem ersten österreichischen Herzog auf dem Römisch-Deutschen Kaiserthron zugeschrieben und eine der möglichen Deutungen findet sich in der Überschrift. ich finde, die Deutung hat was.
Am 26. Oktober 1955 verpflichtete Österreich sich zur immerwährenden Neutralität. Deswegen ist dieser Tag der Nationalfeiertag. Österreich gelang es seitdem, sich auf internationaler Bühne als Akteur zu profilieren - nicht umsonst sind wichtige internationale Behörden und Institutionen in Wien beheimatet wie, im Vienna International Center, auchUN-City genannt, dem offiziellen vierten Amtssitz der Vereinten Nationen, die folgenden Behörden:
IAEA/IAEO - Internationale Atomenergie-Organisation
UNIDO - Organisation für industri- elle Entwicklung
ODCCP - Büro für Drogenkon-trolle und
Verbrechensverhütung
UNCITRAL - Kommission der Vereinten Nationen für
interna-tionales Handelsrecht
OOSA - Büro für Weltraumange- legenheiten
CTBTO - Vorbereitungskommission für die Organisation. des Vertrags über das umfassende Verbot von
Nuklearversuchen
Bildnachweis: Wikipedia. Ansicht vom sog. "Kaiserwasser".
Wien war und ist oft auch Gastgeberin von wichtigen internationalen, oft schon historisch zu nennenden Konferenzen, zum Beispiel:
Im Juni 1961 trafen sich der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow in Wien mit dem Präsidenten der USA, John F. Kennedy. In einem Land, das einem der beiden Blöcke angehörte, hätte das Treffen nicht stattfinden können.
Im Juni 1965 konnte der damalige Aussenminister Bruno Kreisky vermelden, daß es gelungen sei, die Organisstion Erdöl Exportierender Länder (OPEC) nach Wien zu holen. Am 2. Juni 2016 wird die OPEC ihre 169. Konferenz eröffnen.
Im Juli 2015 erreichte man in Wien den Durchbruch in den Atomverhandlungen mit dem Iran.
Zur Zeit laufen Konferenzen zu Libyen und Syrien, Wien wird auch der Treffpunkt für die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans zu Gesprächen über Bergkarabach sein.
Ein Negativbeispiel ist allerdings die diesjährige Westbalkankonferenz, die der griechische Ministerpräsident Tsipras - aus meiner Sicht zurecht - eine Schande nennt.
Bildnachweis: ORF.at Die Ehepaare Chruschtschow und Kennedy. In der Mitte der damalige Bundespräsident Adolf Schärf (SPÖ)
Darüberhinaus beteiligt sich Österreich schon seit 1960 an UN-Blau- helm und anderen Peacekeepereinsätzen: als Erste wurden Sani- täter in den gerade unabhängig gewordenen vormals belgischen Kongo entsandt. Weitere Einsätze u.a. auf Zypern, auf den Golanhöhen, Namibia, Kambodscha, Haiti, Somalia, Jugoslawien, Ruanda, Kuwait, Ost-Timor folgten. Für ein so kleines Land eine beachtliche Bilanz. Diese Einsätze werden von der österreichischen Gesellschaft auch kontrovers diskutiert, da bislang schon 50 tote Soldaten zu beklagen waren. Das vom damaligen Aussenminister Kreisky beabsichtigte respektable Positionierung des noch jungen Landes ist heute erreicht und stabil. Als internationaler Makler hatte sich Österreich international den Ruf eines "ehrlichen Maklers" (So Bismarck einst über Deutschland) erworben. Diesen Ruf haben aus meiner Sicht die damalige Innenministerin Mikl-Leitner und der Aussenminister Sebastian Kurz mit ihrer unsäglichen Westbalkankonferenz - ja, auch sie fand in Wien statt) - zumindest beschädigt.
Bildnachweis: Übersicht über alle Friedensmissionen unter österreichischer Beteiligung, Stand 2014. Quelle: Ministerium für Landesverteidigung und Sport. Broschüre "55 Jahre Teilnahme an internationalen Einsätzen".
"Glaubt an dieses Österreich"
Eines der ergreifendsten Dokumente im Jahr des Kriegsendes ist die Weihnachtsansprache des ersten Bundeskanzlers, Leopold Figl am 24.12.1945:
"Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich."
Was die Österreicher*innen jetzt gezeigt haben
Nach dem ersten Wahlgang, bei dem Norbert Hofer 35% und Alexander Van der Bellen nur 21% der Stimmen auf sich vereinigen konnte, und die beiden "Volksparteien", ÖVP (vergleichbar mit der CDU/CSU) und SPÖ (vergleichbar mit der SPD) dramatisch in der Wählergungst abstürzten. Natürlich: warum soll man die Kopie, die ÖVP einer Johanna Milk-Leitner (mittlerweile in die Landespolitik entsorgt) und eines Sebastian Kurz wählen, wenn man das Original, die FPÖ mit Strache und Hofer haben kann. Sinngemäß gilt das Gleiche für die SPÖ, auch wenn hier der Absturz durch den zwei Wochen vor der Wahl erfolgten Kanzlerwechsel zunächst abgefedert wurde.
Viele Unterstützer*innen von Van der Bellen haben sich gegen die schon so sicher geglaubte Hofer-Wahl gestemmt und in Einzelgesprächen die noch Unentschiedenen überzeugt. Alexander Van der Bellen hat sich in seiner zweiten Plakatserie an die bestimmenden Geschichtsmomente der Zweiten Republik angedockt; das hier abgebildete Plakat bezieht sich auf die Figl-Rede, es gibt ein weiteres Plakat, das auf den legendären Aussenminister, SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler Bruno Kreisky Bezug nimmt: "Ein Stück des Weges gemeinsam gehen...". Als Jude, der nach der Emigration 1951 nach Österreich zurückkam, stand Kreisky auch für das Vertrauen in ein neues Österreich. Somit gelang es Van der Bellen glaubhaft, einen optimistischen Blick auf Österreich zu verkörpern. Das schlug sich auch in den Wahlanalysen nieder: Wähler*innen mit einer optimistischen Einstellung haben Van der Bellen gewählt, die Pessimist*innen Hofer. Zwischen Optimismus und Schönfärberei besteht ein gewaltiger Unterschied! Van der Bellen scheint ihn zu kennen!
(c) Vanderbellen.at
Populistische Panikmache
Rechtspopulisten und die Populisten, die sich als links verstehen, bedienen den Pessimismus. Sie prangern Mißstände an, manche davon sogar zu Recht, aber sie bieten keine Lösungen. Jeden Mißstand ordnen sie sogleich in ein allgemeines Katastrophenszenario ein.
Übrigens bin ich gegen die Unterscheidung zwischen Rechts- und Linkspopulisten. Populismus ist kein emanzipatorischer Politikstil und kann somit niemals links sein.
Soziale Medien tragen zur Verbreitung solcher populistischen Diskurse bei. Da die Rentendebatte ein Thema ist, das Viele umtreibt, habe ich daraus ein Beispiel gewählt:
Das folgende Bild wird soeben bei fb geteilt. Es hat mehrere typische Elemente:
- Der "kleine Mann" wird verwendet, dieses mal sogar als Eigennamen
- Verbale Hochrüstung und Alarmismus: Verbrecher, Lügen, Betrügen
- Zahlen, zum Beleg in eine anerkannte Quelle kopiert.
- Zahlen, die nachrechenbar grotesk falsch sind.
Ich habe die Zahlen nachgerechnet und dazu ganz simpel eine Tabelle der Deutschen Rentenversicherung und einen Dreisatzrechner benutzt.
Wen das interessiert:
Mittlerweile gibt es - auch aus den Reihen der Parteigänger der LINKEN dazu schauderhafte Neidrhetorik, die ich mir erspare hierhin zu Copypasten und zu verlinken. Ein klares Zeichen für Populismus: Probleme bestenfalls benennen (und bestenfalls korrekt), aber keinerlei Lösung anbieten. Frei nach Alexander Gauland: "das ist nicht unsere Aufgabe".
Stattdessen könnte man sich aus meiner Sicht viel besser mit dem österreichischen Modell auseinandersetzen. In Österreich zahlen nämlich ALLE in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Die Angleichung wurde schrittweise seit 2004 vollzogen und ist jetzt fast abgeschlossen. (Anm: in Österreich heist jegliche Altersversorgung "Pension"):
Mit dem Pensionsharmonisierungsgesetz und dem darin enthaltenen Allgemeinen Pensionsgesetz (APG)
vom 18. Nov. 2004 wurde eine Pensionsharmonisierung mit einheitlichen Beiträgen und Ansprüchen für (fast) alle Erwerbstätigen eingeführt.
Bei früheren Rentenreformen hatte sich gezeigt, dass diese Harmonisierung Grundvoraussetzung für die Akzeptanz notwendiger Reformen zur langfristigen Absicherung der Alterssicherungssysteme
darstellt.
Ein sehr beliebtes und panikgeeignetes Mittel ist natürlich - nicht nur in Deutschland die Flüchtlingskrise aka Mohammedaner-Invasion. Oder Burka: Du, ich, Hofer, Wilders, Strache ... alle kommen wir "unter die Burka". Will man das? Eben.
Und "Islamkritik", das habe ich 2010 schon nachweisen können, eignet sich wunderbar als Nebelmaschine, wenn man sonst keine Antwort hat, und dieser populistische Trick wird Europa weit beherrscht und verfängt immer, wie schon Herr Rechtsanwalt Beisicht von pro-Köln zu berichten wusste:
"Wir haben nach Inhalten Ausschau gehalten und waren anfangs selbst überrascht, welche außerordentliche Resonanz wir mit dem Thema gefunden haben."
Islamophobie mit all ihren Varianten geht nämlich immer. Das hatten schon andere vor Beatrix von Storch herausgefunden, und so brauchte sie die Idee nur einfach abzukupfern. Das Minarettverbot in der Schweiz geklaut, den Ruf nach "quelloffener Software", ich nehme mal an, Linux, von Grün, Links und Piraten.
Auch die Unsäglichkeit, die Alexander Gauland mit dem deutschen Nationalspieler Jerome Boateng abgezogen hat, gab es schon mal:
2006 fiel einer der Dauerprovokateure der Lega Nord, Roberto Calderoli, nachdem Frankreich gegen Italien verloren hatte, mit dem Statement auf, daß Frankreich gegen Italien verloren habe, da sie eine "Mannschaft ohne Identität" hätten, mit "Negern, Moslems und Kommunisten" im Kader. Italien sei in Berlin hingegen mit einer Mannschaft angetreten, "die sich aus Lombarden, Kampaniern, Venetiern und Kalabresen zusammensetzt". Er fiel schon dumm mit seinem Bombenturban-T-Shirt auf, später dadurch, daß er Italiens im Kongo geborener Integrationsministerin "Ähnlichkeit mit einem Orang-Utan".
Und die Karriere der langjährigen Grauen Eminenz der FPÖ, Andreas Mölzer, war zuende, als er gegen den österreichischen Nationalspieler David Alaba, Sohn eines Nigerianers und einer Philippinin, stänkerte.
Mal sehen, wovom man sich bei der AfD noch inspirieren lässt.
Was können wir - nicht nur in Deutschland - von dieser Wahl lernen?
Die Auferstehung des "kleinen Mannes":
In der ZEIT vom 25.6. steht im Dossier über die "rechte Internationale":
"Mit dem Erstarken der Rechtspopulisten ist eine Figur auf die politische Bühne zurückgekehrt, die schon fast vergessen schien: der kleine Mann. Es gibt ihn tatsächlich, als Hilfskraft, Facharbeiter oder Handwerker. Es gibt ihn auch als rhetorische Figur, die in den Reden von Parteiführern eine bemerkenswerte Karriere hingelegt hat."
Der Autor des Beitrags schreibt, wer sich alles des "kleinen Mannes" bedient hat: Hofer, Blocher (Schweiz), Wilders, Orbán, PiS (Polen), Lega Nord (Italien), und UKIP (Großbritannien).
In Deutschland tun sich da ausser der AfD noch SPD und LINKE hervor, deren "Putins Glamourgirl" (Richard Herzinger) sich dafür heute, auf dem Parteitag der LINKEN, genau wie vor ihr, und wie ich meine, auch von den gleichen Leuten, die seinerzeit die Torte gegen von Storch geworfen haben, einen Tortenwurf ins Gesicht eingefangen hat.Eine Gleichsetzung mit von Storch war beabsichtigt und wurde von ihr auch als solche erkannt.
Links steht das Bekennerschreiben. Die Übereinstimmungen habe ich bereits rot unterstrichen.
Die Antithese des "kleinen Mannes" sind "die da oben", ist die "Schickeria", wie sich Hofer in jenem legendären TV-Duell äusserte, in dem beide Kontrahenten aus der Rolle fielen und sich nur noch aggressiv anblafften. Allerdings hatte Hofer sich hier verzockt: die "Schickeria"-Häme brachte dem Van-der-Bellen-Lager eine Menge Unterstützung.
Wie der "kleine Mann" bedient wird:
Er wird bedient mit billigem Populismus und Neiddiskursen, wie auf den oben gestitchten Bildern. Ich greife mal ein Beispiel heraus und fange mal bei dem rechten Bild an, ein Artikel aus der heutigen FAZ: es ist sicherlich richtig, daß man koordiniert gegen das vorgehen muss, was immer so vornehm Steuervermeidung genannt wird. Doch das muß im internationalen Rahmen geschehen, sonst machen die, die hier anvisiert sind, nämlich den Depardieu und werden mit ihrem Vermögen Deutschland verlassen, und es muß nicht Russland sein, daß sie mit Kußhand aufnimmt. Was ich an diesem Artikel katastrophal finde, ist die geforderte "Umkehr der Beweislast". Um einen zentralen Grundsatz des geltenden Rechts auszuhebeln, muss man nämlich sehr gute Gründe haben und vor allem nachweisen, daß man damit eine Waffengleichheit herstellt, die sonst zum schweren Schaden einer Partei nicht zu erreichen ist. Ist jemand aufgefallen, daß hier auch kein Stichtag angegeben ist? Und wenn "der Staat" von dem Vermögen nichts weiß, weil es, ich sach' ma', in einer Briefkastenfirma auf den Bahamas versteckt ist? Wir können diesen Einfall getrost in der Kiste mit der Aufschrift "Heiße Luft" ablegen.
Noch nicht mal Luft, sondern höchsten ein übelriechendes Lüftchen hat Katja Kipping abgesondert, die eine Steuer auf Menschen (Millionäre, Reiche) anstatt auf Vermögen fordert, und damit Stimmung macht und den Neid sowohl der Beschäftigten als auch der Erwerbslosen und Abgehängten versucht, anzuheizen.
"...für jeden Euro Einkommen über eine Million Euro pro Jahr hinaus eine Reichensteuer von 75 Prozent..." ... "Wenn der Bahnchef unbedingt ein riesiges Managergehalt braucht, dann muss er dafür sorgen, dass auch die Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter einen ordentlichen Lohn für ihre Arbeit erhalten..."
Ich fange mal von hinten an: mit dem "Bahnchef", der für etwas "sorgen" muss, evoziert sie ein Bild aus dem 19. Jahrhundert, das des allein entscheidungsbefugten
Firmenpatriarchen. Nur: diese Patriarchen gibt es nicht mehr. Die Bahn ist im Bundesbesitz und der "Bahnchef", zur Zeit Rainer Grube, ist ihr Angestellter, wie Zugbegleiter auch.Er kann nicht
einfach im Alleingang für eine höhere Bezahlung sorgen, das weiß Kipping auch.
Zu anderer Gelegenheit hat sie gefordert, daß der "Bahnchef" nur das zwanzigfache des Lohns von Zugbegleitern und Putzkräften bekommt. und wenn er "eine Million" im Jahr bekommt, bekommt "die Putzkraft" also 50.000.
Rechnen wir das mal für Herrn Grube nach:
2,46 Millionen, plus 961.000 für seine Altersversorgung und das Ganze durch 20 = 171.000 Euro. Wenn Kipping das durchkriegt, gehe ich bei der Bahn putzen, isch schwör.
Allerdings nur, wenn ich bei der Telekom keinen Putzjob bekomme, denn:
Herr Obermann wird mit 3,26 Millionen Euro entlohnt, plus 700.000 Euro "Dienstzeitenaufwand." Also roundabout vier Millionen. Ein zwanzigstel davon wäre 200.000 Euro im Jahr für Putzkraft oder Zugbegleiter. Und Herrn Riexingers Statement war zeitlich nach dem Tortenwurf. Der wollte nur keine weitere Torte abkriegen.
Die SPÖ hatte die auch, mit 0,1 bis 0,9%, allerdings gleich auf das gesamte Vermögen. Und ist damit baden gegangen. Ihr Kandidat, Sozialminister Hundstorfer landete bei 11,18% der Stimmen. Wie gesagt, mich stört hier nicht die Forderung an sich, sondern die Art und Weise, wie sie aufgestellt wird. Und nochmal: so isoliert für ein einzelnes Land? Depardieu...
"Der Schoß ist fruchtbar noch ..."
Alle aus den Resten des Großdeutschen Reiches hervorgegangenen Staaten haben als konstituierende Lebenslüge die erfolgreiche Überwindung des Nationalsozialismus. Die Bundesrepublik wollte gründlich aufgeräumt haben bzw. allfällige Reste nach "Persil"-Entnazifizierung pragmatisch integriert haben, die DDR wollte ein antifaschistischer Staat gewesen sein und war doch der nationalistischere von beiden deutschen Teilstaaten und Österreich dieser Auseinandersetzung enthoben, da es ja, laut Moskauer Deklaration vonn 1943 Hitlers erstes Opfer gewesen sei.
Ich denke, Österreich und Deutschland müssen jetzt, da die Gefahr von rechts wieder virulent ist und man in beiden Ländern fröhlich und vereint Geschichtsrevisionismus betreibt, sich ausserdem ein Teil der "Burschis" (Burschenschafter), deren prominentester ja Norbert Huber ist, sich "deutschnational" gebärdet, nochmals an die Aufarbeitung begeben - gemeinsam und ohne gegenseitige Schuldzuschreibungen.
Grenzen
Am 27. Juni 1989 schnitten der österreichische Aussenminister Alois Mock und der ungarische Aussenminister Gyula Horn bei Sopron/Ödenburg an der österreichisch-ungarischen Grenze den Grenzzaun durch, die Grenze bleib für drei Stunden geöffnet, 700 DDR-Bürger nutzen diese drei Stunden zur Flucht. Zunächst nur für drei Stunden, doch von hoher symbolischer Bedeutung: der Eiserne Vorhang war endgültig gefallen.
In Budapest, am ehemaligen Wohnhaus von Gyula Horn, findet sich noch heute eine Gedenktafel.
Umso trauriger, daß es heute gerade diese beiden Länder sind, die damals den Flüchtlingen aus der DDR weitergeholfen haben, die sich mittels Errichten von für unüberwindlich gehaltenen Grenzsperren gegen Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan abschotten wollen.
Die ungarische und österreichische Zivilgesellschaft ist letzten Sommer dem Kurs ihrer Regierungen nicht gefolgt. Wie mir Freundinnen in Budapest und Wien bestätigt haben, hat die Zivilgesellschaft beider Länder sich engagiert für die Flüchtlinge eingesetzt und das auch an solchen Hotspots wie dem Keleti-Bahnhof in Budapest oder dem Lager Traiskirchen.
Links: ungarische Soldaten beim Errichten eines Grenzzauns gegen Serbien.
Rechts: österreichische Soldaten in Slowenien.
Bildnachweis: www.condor.cl, Zoltan Gergely Keleman/dpa, AFP/Joe Klamer
Lösungsvorschläge:
Mit solchem Populismus kann man des Problems, "gesamteuropäischer Rechtsruck", nicht beikommen. Die Rechten jedweder Abstufung sind in Europa auf mehreren Ebenen/in mehreren Clustern gut vernetzt, was ich 2012 schon mal ausführlich beschrieben habe.
Für mich ist der Rechts-Links-Gegensatz keinesfalls aufgehoben; daß die Rechten sich linker Ausdrucksformen bedienen, oder genügend Autoren meinen, die Kriterien "Rechts" Und "Links" seien heute nicht mehr brauchbar, bedeutet nicht, daß Linke der Definitionsarbeit enthobern wären. Nebenstehend Folie stammt aus einem Vortrag, den ich im Dezember 2014 für die hiesige Attac-Regionalgruppe fertiggemacht habe.
Dezember 2014 - also vor der "Flüchtlingskrise",bevor die Nazis massenhaft unter ihren Steinen hervorkrochen und sich die "besorgten Bürger" radikalisierten. Der dort aufgeführte Grundsatz war im Dezember 2014 für mich unverhandelbar und ist es bis heute. Wer von Fremdarbeitern, Obergrenzen und Gastrecht schwadroniert, ist nicht links. Und wenn dessen Fußvolk sich von einem Tortenwurf auf einem Parteitag davon abhalten lässt, das zu thematisieren, muss es sich gefallen lassen, daß man das, was man mittels Torte jetzt noch mal unter dem Deckel halten konnte, nämlich die Querfronterei einiger sehr profilierter Genoss*innen, der ganzen Partei zurechnet. Das ist für mich nur ein Beispiel für eine notwendige Neubestimmung des Begriffes "Links".
Im Zeichen des schon früher erkennbaren Absturzes der "Volksparteien" - 2010 hatte ich mit einem niederländischen Freund bereits das Schrumpfen der europäischen Christdemokraten thematisiert - über ein parteipolitisches Engagement neu nachdenken. Wie der Verfasser dieses Artikels, bin ich der Meinung, daß Große Koalitionen abgewirtschaftet haben, da sie nicht mehr für Stabilität, sodern für Stillstand stehen. In Österreich verkrustet das Modell Rot-Schwarz schon länger, in Deutschland war es 1969 als frischer Wind betrachtet worden, da man bis dahin die FDP in ihrer Rolle als Königsmacher als Verkrustung wahrnahm. Ihre eigene Verkrustungsfähigkeit stellte die große Koalition in den Kabinetten Merkel 1 und 3 bereits hinreichend unter Beweis. Es sollte innerhalb der demokratischen Parteien, von Union bis LINKE, keine Koalitionsmöglichkeit ausgeschlossen werden. Eine Koalition mit der AfD allerdings schon. Zur AfD, die ja erwartbar 2017 in den Bundestag einzieht, sollte - nach belgischem Vorbild - ein Cordon Sanitaire gezogen werden.
Man sollte den politischen Forderungskatalog entrümpeln und mal die ganzen Mittelstands-Gadgets dort rausschmeißen. Mittelschichts-Gadgets sind für mich die politischen Forderungen, mit denen die AfD-Wähler nicht anfangen können, weil sie sie schlicht nicht verstehen. Hier mal drei prägnante Beispiele:
Da hält man die "Frauen in DAX-Vorständen" für einen Treibsatz der Emanzipation, dabei klopfen die Mittelschichts-Frauen aus meiner Sicht damit nur ihre eigenen Karriereerwartung fest, bzw. sie versuchen es. Solange Kinder als großes Armutsrisiko gelten und Alleinerziehende am Rande des finanziellen und sozialen Absturzes balancieren und solche skandalösen Vorschläge, wie der von Ministerin Nahles nach dem 10-€-Abziehen für jeden Tag, den das Kind evtl bei seinem Vater verbringt, nicht vom Tisch sind, und die Situation der Mütter in unserem Land sich nicht verbessert hat, erschließt sich mir nicht, was Frauen in Dax-Vorständen sollen. Zumal sie dort mit Sicherheit nicht anders agieren werden als Männer. Oder glaubt jemand, eine Frau im Vorstand wäre nicht in der Lage, eine große Anzahl von Arbeitnehmer*innen in die Arbeitslosigkeit zu schicken?
"Genderwahn". Erstens wird nie etwas Negatives gegendert, zweitens kommt es mir vor, als sei das das Trostpflaster dafür, daß immer noch gravierende Unterschiede zwischen der Entlohnung von Frauen und Männern bestehen. Mit Genderei kann die alleinerziehende Mutter wenig anfangen, wenn einer sozialdemokratischen Ministerin nichts anderes einfällt, als diesen Frauen wieder einen mitzugeben.
Demographie: Da wird über die mangelnde Gebärfreude gejammert, und dann entblödet man - und frau - sich nicht, diesen Deppengroschen, genannt "Betreuungsgeld" auf den Weg zu bringen und so wieder die Schönheit der Mutterschaft zun preisen, oder daß es doch so viel schöner ist, Kiddie zu Hause zu erziehen und die alleinerziehende Hartz-4-Mama freut sich, denn für sie sind 150;-- viel Geld. Gut, daß diese zu Geld gewordene Beleidigung weg ist! Die Freuden der Mutterschaft wären sicher besser an die Frau zu bringen, wenn es genügend bezahlbare Kindergartenplätze gäbe. Dann, aber nur dann, besteht auch die Chance, daß "gebärfähiges Alter" keine regelhafte Karrierebremse mehr wäre.
Diese Mittelschichts-Gadgets sind ein Beipiel für all diese Forderungen, die sich nur leisten kann, wer sonst keine Probleme hat.
Was müsste man anders machen?
Dazu schreibt Matthew Karnitschnig in seinem Politico-Artikel vom 23.05.2016 im letzten Punkt unter der Überschrift "Sincerity sells", Aufrichtigkeit zahlt sich aus:
"Van der Bellen und Hofer ließen niemanden darüber im Unklaren, wo sie in den heute wichtigsten Fragen stehen".
Das wünscht man sich auch von unseren etablierten, d.h. im Bundestag vertretenen Parteien. Allen.