Oberrabbiner der Ukraine: Das Leiden der Krimtataren nicht ignorieren

von Halya Coynash, Kharkiv Human Right Protection Group, 22.05.16.

 

"Die Welt darf das Leiden der Krimtataren nicht ignorieren, so wie sie damals das unsrige ignoriert hat. Unser Aufschrei muss gehört werden, damit der Horror der Vergangenheit sich hier und jetzt nicht wiederholt. Unsere Worte müssen erschallen, weil die Welt zur Zeit über das Schicksal der Krimtataren schweigt." 

Dies war am 18. Mai die Nachricht von    Yaakov Dov Bleich, als er in Kyiv auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Deportation des Krimtataren-Volkes sprach. Diese Worte richteten sich an eine Welt, die wiederum bitterlich versagt, wo sie darauf reagieren müsste, daß ein ganzes Volk in Gefahr ist.

 

Die Rede von Yaakov Dov Bleich:

"Zuerst möchte ich im Namen der Juden der Ukraine und im Namen der Juden in aller Welt, möchte ich Euch sagen, daß wir mit Euch sind, mit Euch, die Ihr Euch hier versammelt habt. Was wir während des Holocaust gefühlt haben, als alle Nationen geschwiegen haben, das wiederholt sich jetzt. Juden wurden ermordet, niemand stand auf, niemand sagte etwas, niemand wollte sie retten. Für mich, der als Jude in der Ukraine lebt, ist es das Wichtigste, jetzt und überall zu zu fragen: , Wo seid Ihr? Wo sind die ganzen Nationen? Wo sind die Vereinten Nationen? Die sind alle mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Der Aufschrei muß von hier kommen, damit die ganze Welt hört, daß wir nicht schweigen, und daß wir nicht erlauben, daß Dinge, die wir in der Vergangenheit wähnten, sich jetzt wiederholen. Warum schreit niemand auf? Wo sind all die Menschenrechts- und Hilfsorganisationen? Heute, an einem Tag, an dem sie alle denken, daß es keine LGBT-Diskriminierung geben darf - wo ist der Tag für den Stop der Diskriminierung der Krimtataren? Warum hören wir diese Stimmen nicht?Wir dürfen nicht schweigen, bis dieses Problem gelöst ist. Die Lösung liegt in der Tatsache, daß Menschen in ihrem eigenen Land leben sollen. Niemand hat das Recht, Menschen zu vertreiben, besonders, wenn das eine Wiederholung dessen ist, was einst passiert ist. Warum ist jedermann blind und taub? Warum hören und sehen sie nichts?

Wir sind verpflichtet, heute mit einer Kampagne zu beginnen, die in der gesamten Welt gehört wird, so daß das, was geschehen ist, aber sich niemals wiederholt, damit wir sicher sein können, daß die Krimtataren ein freies, stolzes Leben in ihrem eigenen Land leben können, der Krim, die wir auf immer als Teil der Ukraine sehen. Ich danke Ihnen."

Hier kann die Rede angehört werden:

Seit Russland die Krim besetzt hat, gehen die, die gegen diese Annexion sind und darauf bestehen, daß die Krim ukrainisch bleibt, in Gefahr, und einige, wie der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow und der politische Aktivist Oleksander Koltschenko nach Schauprozessen in Russland eingesperrt wurden. Es ist jedoch unzweifelhaft, daß die Krimtataren, die indigene Volksgruppe auf der Krim, am meisten gelitten haben und sehr oft für das Besatzungsregime zur Zielscheibe wurden. Einer dieser Gründe ist bitter und schmerzlich. Während andere ins Exil getrieben wurden, so ist das für die Krimtataren keine Option. In den Worten von Lilya Budschurowa, einer prominenten Journalistin und früheren Direktorin des Krimtatarischen Fernsehsenders ATR, der von Russland gezwungen wurde, auf der Krim nicht mehr zu senden: 

"Es ist für uns unmöglich, unsere Heimat zu verlassen. Wir haben zu lange für die Rückkehr gebraucht."

Josef Stalins Deportation des gesamten Krimtatarischen Volkes 1944 wurde unlängst durch die Ukraine als Völkermord anerkannt. Fast die Hälfte der Bevölkerung kam während der Deportation und in den ersten Jahren des Exils ums Leben. Erst nach der Unabhängigkeit der Ukraine konnten die Krimtataren in ihre Heimat zurückkehren.

Das Verbot von Gedenkveranstaltungen

zum 18. Mai wurde zwei Monate nach der russischen Annexion der Krim ausgesprochen. Einige Krimtataren sehen sich nun Gerichtsverfahren gegenüber, nur dafür, daß sie am 18. Mai 2016 versucht haben, den traditionellen Autokorso von Simferopol nach Bachtschissarai durchzuführen.

Der langjährige politische Führer der Krimtataren, Mustafa Dschemiliew war zu Zeiten der Deportation sechs Monate alt. Er widmete den größten Teil seoines Lebens dem friedlichen Kampf um das Recht seines Volkes, in seine Heimat zurückzukehren und bezahlte dafür mit 15 jahren in sowjetischen Arbeitslagern. Im April 2014 wurde er von der russisch-besetzten Krim verbannt. Gegen ihn wurden auch Anklagen in Russland erhoben, faktisch, weil er versucht hatte, in seine Heimat zu kommen. Das Oberhaupt der Vertretung der Krimtataren wurde zwei Monate später verbannt. Später erließ Russland einen Haftbefehl gegen ihn und klagte ihn an, sich in der Öffentlichkeit Äußerungen gegen Russlands Integrität anzumaßen, im Klartext: die Krim solle an die Ukraine zurückgegeben werden.Die Beiden, und mit ihnen der Medschlis, der die große Mehrheit der Krimtataren repräsentiert, sind unerbittlich gegen die russische Besatzung.

Die große Offensive gegen den Medschlis begann im Septeber 2014. Im Januar 2015 wurde Artjom Tschigjos, das stellvertretende Oberhaupt des Medschlis, verhaftet. Er, und andere Krimtataren bleiben unter in juristischer Hinsicht grotesken Anklagen in Haft, unter Anderem wegen einer Demonstration vor der Annexion, die nicht unter russische Jurisdiktion fällt.

Ein anderer Führer des Medschlis, Ilmi Umerow, wurde ebenfalls angeklagt, sich in der Öffentlichkeit gegen Russlands Integrität zu äussern und könnte zu bis zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt werden. Der Medschlis wurde als "extremistisch" verboten, und einer der Vorwürfe gegen ihn ist, daß sein Ziel die Wiederherstellung der nationalen und politischen Rechte der Krimtataren als Teil der Ukraine sei.

Die meisten der Menschen die entführt wurden und/oder spurlos verschwanden, waren Krimtataren. (Hier ein Artikel über eines der Opfer.DS)

Es gab und gibt eine Flut von bewaffneten Durchsuchungen krimtatarischer Heime und 14 Krim-Muslime, alle außer zweien sind Krimtataren, befinden sich in Haft und erwarten wahrscheinlich lange Gefängnisstrafen für erfundene "Terrorismus"-Anklagen.

Verschwinden, bewaffnete Hausdurchsuchungen und Festnahmen scheinen zum Ziel zu haben, die Krimtataren zu terrorisieren und sie ins Exil oder zum Schweigen zu zwingen.

 

Und für all das haben westliche Staaten und internationale Organisationen bestenfalls "Besorgnis" oder "Verurteilung", schlimmstenfalls so schwache   Berichte wie jenen des Europarats, der am gleichen Tag veröffentlicht wurde, an dem der Medschlis, ohne Gerichtsurteil, das erste Mal suspendiert wurde.