Die "spleenigen Inselbewohner", jedenfalls ihr englischer Teil, (O-Ton "Lügenpresse") scheinen jetzt aus ihrer Brexit-Euphorie aufzuwachen, und zu versuchen, zurückzurudern, und - ehrlich gesagt - finde ich das noch schlimmer, als wenn sie die Nummer mit "stiff upper lip" durchziehen würden, "Right or wrong, my country..." oder so.
Obwohl mir klar ist, daß es solche Politiker und so ein "Stimmvolk" auch anderswo gibt, habe ich das, was da jetzt anscheinend abgeht, nicht erwartet - nirgendwo... Man möchte laut
loslachen, aber dann bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Das ist ein politisches, die mich ehrlich gesagt, schaudern lässt. Vorbereitet ist offenbar nichts. Das Ganze scheint ein Spielchen
zur Machtsicherung gewesen zu sein.
Das hätte ich in meinen kühnsten Albträumen nicht erwartet, was Land und Leute da jetzt abziehen. Jetzt wäre es auch mir recht, wenn sie gehen. Man muss sie nicht gleich rauswerfen, aber allzu lange sollte das nicht (mehr) dauern.
Anscheinend überkommt jetzt eine Menge Leute in England der Katzenjammer, wo sie sich, nachdem alle Parties gefeiert sind, jetzt offensichtlich angesehen haben, was sie da angerichtet haben. Das gilt für die Politikerdarsteller genauso, wie für das Volk von England.
Angefangen bei David Cameron
Da nimmt jemand die gesamte EU in Geiselhaft (Martin Schulz), handelt Bedingungen aus, die sonst kein anderer bekommt, zockt bis zum Anschlag, und als ihn eine Ahnung davon beschleicht, was er angerichtet hat, wird sich feige verkrümelt, um seinem Nachfolger das ganze Desaster zu hinterlassen. Zweifellos würde man seinem mutmaßlichen Nachfolger, Boris Johnson, dies A***karte gönnen - aber wieso noch drei Monate warten? Noch diese Hängepartie zu probieren, ist einfach nur dreist, und zeigt, was einige britische Entscheidungsträger anscheinend wirklich von der EU und deren Mitgliedern so denken. Wer die Folgen seines Handelns so wenig absehen kann, gehört nicht in die Politik. Und jemand so Prinzipienloses auch nicht. Es ist allgemein bekannt, daß er eigentlich immer für einen Brexit war. Wenn jemand dann plötzlich das genaue Gegenteil "verkauft", nimmt man ihm das - natürlich - nicht ab. Und seine Zockerei mit dem Referendum offenbart darüberhinaus noch einen Mangel an Respekt vor den demokratischen Institutionen und Instrumenten, der im Grunde genommen ein Mangel an Respekt für die Demokratie ist.
Boris Johnson
Und der - nicht mehr ganz so wahrscheinliche - Nachfolger von Cameron im Amt des Premier, Trump-Verschnitt Boris Johnson hat eventuell die Aufgabe, den Brexit auszuhandeln und versucht sich jetzt auch schon in Spielchen: er wird damit zitiert, es habe jetzt mit dem Austritt keine Eile, und man müsse auch nicht "§50" (des Lissabon-Vertrages, der einen Austritt eines Mitglieds regelt) aufrufen.
Sorry, aber für mich zeigt sich darin ein eklatanter Mangel an Respekt nicht nur vor den anderen Mitgliedern und den Institutionen der EU, sondern auch vor denjenigen, die im Vertrauen auf sie für den Brexit gestimmt haben. Von denen haben sie den Auftrag, das Votum umzusetzen. Punkt.
Allerdings übt sich Johnson noch in Siegerpose. Noch.
Wie bereits gesagt, es ist noch nicht raus, daß sich sein Zynismus auszahlt. Wenn das stimmt, daß Cameron ihn verhindern wiil, dann scheint Cameron damit nicht alleine zu stehn. Ich denke nicht, daß er sich mit der Geschichte einen Gefallen getan hat, genauso wenig, wie damit, daß er, der gelernte Journailst - für eine wöchentliche Kommune im Telegraph als Nebenjob zu seinem Posr - im Jahr 250.000 Pfund im Jahr einfuhr und das als "chickenfeed" (Hühnerfutter) bezeichnet hat.
Nigel Farage und Jeremy Corbyn
Zu diesem Millionenversprechen hatte ich ja auch schon gestern was übersetzt. Farage, Putin-Verehrer, Nationalist, EU-Feind (der es jetzt übrigens garnicht eilig hat, seinen gut dotierten EU-Abgeordneten-Sitz zu räumen) Wahlkampfhelfer z.B. beim Ukraine-Referendum in den Niederlanden ... Und gestern, wo er es sich leisten konnte, hat er dann den Girkin gemacht - ein bißchen Kritik, damit alle sehen, wie ehrlich die Brexiteers sind... Und wie Igor Girkin ist seine Botschaft: "Wir haben Euch verarscht, weil wir es können; das angebliche "Geständnis" vermittelt keine Ehrlichkeit, sondern Selbstsicherheit: jetzt könnt Ihr uns nichts mehr.
Für den Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn - vom "Freitag" in einer Reihe mit u.a. Sahra Wagenknecht als linker Held und Vordenker gehyped - gilt sinngemäß das Gleiche wie für Cameron: eigentlich EU-Gegner, von dem sich im Netz jede Menge "europaskeptische" Äusserungen finden, dann, zu spät, zu passiv, zu halbherzig. Deswegen haben Parteifreunde für Morgen einen Mißtrauensantrag eingereicht. Sein "Schattenkabinett" ist mittlerweise bereits auseinandergeflogen.
Was wurde da eigentlich abgestimmt?
Anscheinend wussten das viele, die da abgestimmt haben, nicht.
Als das erste Mal in den (sozialen) Medien zu lesen war, nachdem die Ergebnisse des Referendums bekanntgegeben worden seien, seien die nebenstehenden Suchanfragen aus GB/England deutlch in die Höhe gegangen, wollte ich das zunächst nicht glauben, aber es scheint zu stimmen. Lustig ist das nicht, wirklich nicht. Ich kann mir vorstellen, daß die Reichs-, äh, Staatsbürger in Deutschland nicht mal googeln würden. Die haben ihre feste Meinung über die "EU-Diktatur", aus welchem Grund auch immer.
Welche Verwirrung über die EU herrscht, sieht man ja an dieser unsäglichen Familie, die vor der "EU-Diktatur" nach Russland "geflüchtet" ist.
ich denke allerdings, mit "besser erklären" ist es nicht getan, ausserdem ist das eine gefährliche Denke. Die "Volksfreunde" wie LePen, Hofer, Wilders, Seehofer etc. wollen jetzt natürlich auch Referenden, weil sie genau auf dieses "Volk" spekulieren, das bereit ist, mit der richtigen Ansprache, auch gegen seine eigensten Interessen abzustimmen.
Wie man dieses Problem löst? Nun, darauf habe ich jetzt auch keine Antwort, außer, daß man sich um die Jungen kümmern muss, nicht nur in England. Die Austausch-Förder- und Kulturprogramme müssen aus meiner Sicht dringend intensiviert werden, zum Beispiel das Erasmus-Stipendium, aber auch eine Unterstützung der Staaten mit hoher Jugendarbeitslosigkeit bei der Ausbildung von Lehrlingen nach dem dualen System, wie 2013 von der damaligen Arbeitsministerin Von der Leyen und ihrer spanischen Kollegin vereinbart.
Die britische/englische Presse
hat sich bis auf wenige Ausnahmen in die Schlacht um den Breixit aufseiten der Brexiteers geworfen. Nicht nur die Murdoch-Medien, sondern auch andere haben getrommelt und trommeln immer noch. Der belgische Standaard hat das eindrucksvoll dokumentiert.
Und auch hier wird die Figur des "Kleinen Mannes", oder, wie es hier heißt, "the quiet people of Britain" auf den Schild gehoben, der sich gegen "die da oben", die "Elite" erfolgreich gewehrt habe. Hier habe ich das schon mal im Hinblick auf Österreich und Deutschland beschrieben.
In der ZEIT vom 25.6. steht im Dossier anlässlich der Bundespräsidentenwahl in Österreich über die "rechte Internationale":
"Mit dem Erstarken der Rechtspopulisten ist eine Figur auf die politische Bühne zurückgekehrt, die schon fast vergessen schien: der kleine Mann. Es gibt ihn tatsächlich, als Hilfskraft, Facharbeiter oder Handwerker. Es gibt ihn auch als rhetorische Figur, die in den Reden von Parteiführern eine bemerkenswerte Karriere hingelegt hat."
Der Autor des Beitrags schreibt, wer sich alles des "kleinen Mannes" bedient hat: Hofer, Blocher (Schweiz), Wilders, Orbán, PiS (Polen), Lega Nord (Italien), und schon immer Farages UKIP. In den USA bedient Trump diesen Narrativ gegen Clinton.
Und jetzt?
So ein rein-inne-Kartoffeln-raus-ausse-Kartoffeln sollten wir nicht mitmachen. Wenn Cameron jetzt Zeit schindet, um ein parteipolitisches Problem zu klären, nimmt er schon wieder die ganze EU in Geiselhaft (Martin Schulz) Gottseidank scheint das auf wenig Gegenliebe zu stoßen.
Hintergrund für diese Hinhaltetaktik soll sein, daß man keine Spezialisten, z.B. für Handelsfragen hat und jetzt in Kanada um Hilfe nachgefragt hat, da die ja Erfahrung mit Freihandelsabkommen hätten. Echt jetzt? CETA läuft ja nicht wirklich rund. Meines Wissens versucht man in Bayern gerade, ein Volksbegehren anzustoßen. Weiterhin, daß Cameron Boris Johnson verhindern wolle. Er sähe lieber Theresa May, seit 2015 Innenministerin und politische Hardlinerin. In Summa möchte ich nicht, daß solche Politkerattrappen in "meinem" Europa mit zu bestimmen haben.
Damit bin ich jetzt keinesfalls von Rachegedanken beseelt, darum geht es nicht. Wer sowas anschiebt.muss wissen, wie das weitergehen soll. Die Brexit-Befürworter seien, so wird berichtet, schweigsam und abgetaucht, weil sie keine Strategie hätten, wie es denn jetzt weitergeht.
Mehr als drei Millionen Briten haben mittlerweile eine Petition unterschrieben, mit der ein zweites Referendum gefordert wurde, aus welchen Gründen auch immer. Ab 100.000 Stimmen muss das Parlament "eine Debatte erwägen". . Ich kann mir nicht vorstellen, daß das dazu führen wird, daß der Artikel 50 nicht ausgelöst wird, und ich weiss nicht, ob Schottland sich einen Gefallen täte, mit einem Veto querzuschießen.
Ich hielte es für sehr gefährlich, würde jemand auf die Idee kommen, den Artikel nicht auszulösen. Das wäre zwar offensichtlich rechtlich möglich, aber politisch fatal. Die Briten haben, so denke ich, viel Vertrauen bei der EU verspielt. Allerdings jetzt auf das Tempo zu drücken hat etwas von Abstrafen. Darum geht es nicht. Daß heute die konservative Politkerin und Anwältin Anna Firth nochmal betonte, daß man erst den Rahmen schaffen müsse, in dem Artikel 50 ausgelöst werden könne, habe nicht nur ich mich gefragt, was die denn gemacht haben, seit sie 2013 das Referendum angekündigt haben, Ursula Von der Leyen sprach das laut aus, erhielt aber keine Antwot. Das konnte man sich auch schon so denken: nichts. Diesen genialen Kommentar werde ich als Nächstes übersetzen. Mit einem Land, das von solchen Politkern regiert wird, möchte ich garn icht in einer Union sein.Jedenfalls nicht, solange das Land sich solche Politiker leistet. Sie können ja wiederkommen. Ohne Extrawürste.