Soeben wird, anlässlich des Weges in eine neue GroKo wieder über die Bürgerversicherung diskutiert. Vordergründig angeblich, um die Leistungen des Gesundheitswesens gerechter zu
verteilen, solidarisch oder so, doch hat für mich so manche Diskussion den Unterton, daß nicht etwa die gesetzlich Versicherten irgendein "Mehr" bekommen, sondern, daß die Privatpatienten
"weniger" bekommen - wovon auch immer. Die Vorstellungen, was ein Privatpatient bekommt, scheinen mir zwischen "der Arzt, dem die Frauen vertrauen" und "Schwarzwaldklinik"/Sachsenklinik
angesiedelt, ohne allzuviel Kontakt mit der Realität. Das gilt auch für die Vorstellung, wenn man die Privatversicherungen auflöst und ihren Bestand in einen gemeinsamen Topf wirft, werden die
Privilegien der Privatpatienten abgebaut und den gesetzlich Versicherten geht es besser. Aus meiner Sicht ist das nicht der Fall. Die "Bürgerversicherung" ist meines Erachtens ein
Ablenkungsdiskurs, um an eine echte Reform des Gesundheitswesens nicht herangehen zu müssen. Mit diesem Artikel hoffe ich, zur Versachlichung der Diskussion beizutragen.
Bildnachweis: Filmstill aus "die Schwarzwaldklinik". Chefarzt Professor Brinkmann (Klausjürgen Wussow) nimmt persönlich eine Privatpatientin (Nadja Tiller) in Empfang.
"Privatpatienten bekommen alles, was möglich ist, gesetzlich Versicherte nicht..."
Oft ist auch das Gegenteil richtig, aber der Reihe nach. Ich werde mich jetzt erst einmal auf meine Erfahrungen als Ärztin, gesetzlich Versicherte und beihilfeberechtigte Privatpatientin stützen und in einem zweiten Blogpost darüber schreiben, was die Parteien und Versicherungsträger dazu sagen.
In den Sozialen Medien ist mir aufgefallen, daß dort viel Meinung, viel Aggression, aber wenig Wissen, z.B, wie man aus nebenstehenden Screenshots sieht, auch darüber, was ein Privatpatient (für den Arzt) bedeutet. Die Verfasser der nebenstehenden, aus Twitter gefischten Zeilen wissen nicht, daß die Aussage: "ich bin Privatpatient" nicht etwa bedeutet: "meine Privatversicherung zahlt", sondern: "ich zahle selber", unabhängig davon, was die Privatversicherung zahlt. Das heisst, man zahlt - und zwar die ganze Behandlung. Man kann sich eine solche Rechnung zwar theoretisch von seiner Kasse erstatten lassen, doch das heißt nicht, daß die Kasse einem das 100% erstattet. Außerdem wirkt sich das auch auf weitere ärztliche Behandlungen bei ggf. anderen Ärzten aus: An dieses selbstgewählte Erstattungsprinzip ist man nämlich drei Monate gebunden.
Nicht zu zahlen, ist dann auch keine so gute Idee: die meisten Doktoren schreiben ihre Rechnungen nicht selber, sondern überlassen das einem "medizinischen Abrechnungsdienst", wie PVS. Von denen bekommt der Doktor sein Geld und die schreiben die Rechnung. Wenn man nicht zahlt, sieht man sich keinem einzelnen Arzt gegenüber, sondern der Rechtsabteilung einer riesigen Firma.
Da kann man sich gleich merken: wenn ein Rechtsanwalt eingeschaltet wird, wird das richtig teuer, Und nochmal: mit der Inanspruchnahme der Behandlung kommt ein Behandlungsvertrag zustande und man muss die Behandlung bezahlen, auch wenn man später seine Versichertenkarte nachreicht.
Die meisten denken auch, mit Privatpatienten verdienen sich die Ärzte eine goldene Nase. Auch das ist nicht ganz richtig - ich erklär es mal:
Die ärztlichen Leistungen werden nach der GOÄ, Gebührenordnung für Ärzte bemessen. Der Vorteil für einen Arzt liegt darin, daß für einen gesetzlich Versicherten stets nur der einfache Gebührensatz berechnet werden darf (§5.1), unabhängig davon wie schwierig die Erbringung der Leistung ist, wie alt oder jung, dick oder dünn der Patient ist. Bei Privatpatienten wird die Leistung stets mit dem Faktor 1,15 multipliziert, in Fällen, in denen es schwierig ist, mit dem Faktor 2,3 oder 3,5.
Bei Privatpatienten bekommt der Arzt/Physiotherapeut/Masseur sofort sein Geld, d.h, je nach von ihm gesetzten Zahlungsziel, bei gesetzlich Versicherten nicht, Beispiel: Erbringt ein Arzt/Physiotherapeut eine Leistung am, sagen wir 3.Oktober und stellt eine Rechnung, so hat er vom Privatversicherten - übrigens meistens aus den o.a. Gründen auch "Selbstzahler" genannt, spätestens nach 4 Wochen sein Geld. Ohne Abstriche. Was die Privatversicherung dem Patienten davon erstattet, ist nicht sein Problem, davon weiter unten mehr. Wird die Leistung für einen gesetzlich Versicherten erbracht, so kann sie erst Ende Dezember abgerechnet werden. D.h, Geld gibt es erst, wenn überhaupt, im Januar. Hat die Kasse was auszusetzen, geht die entsprechende Abrechnung zurück: wegen Überschreitung das fachüblichen Durchschnitts (man erbringt von dieser Leistung mehr als 110% von dem, was die vergleichbaren Kollegen erbringen), Überschreitung des Budgets etc., und man kann das erklären, kann man die Abrechung dannn Ende März wieder einreichen. Wenn es schlecht läuft, kriegt man überhaupt nichts. Wenn es gut läuft, bekommt man sein Geld, evtl. mit Abzügen. Im April. Für eine Anfang Oktober erbrachte Leistung. Und wenn es ultraschlecht läuft, hat man einen "Regress" an der Backe, d.h., man zahlt Geld zurück, und oft nicht zu knapp.
Die erbrachten Leistungen können für Privatpatienten jeweils einzeln abgerechnet werden, für Kassenpatienten bekommt der Arzt eine Quartalspauschale.
So kam in "FAKT" die Geschichte von einem Arzt in Ostdeutschland, der eine fast sechsstellige Summe zurückzahlen muss, weil er angeblich zu viele Patienten zu aufwändig behandelt. Der Hintergrund: in seinem Einzugsgebiet war er der einzige Arzt mit weit überduchschnittlich vielen alten Patienten, von denen viele nicht mehr in der Lage waren, zu ihm in die Praxis zu kommen. Er hatte an die 2.000 gesetzlich Versicherte und ganze 10 Privatpatienten.
Die Unterschiede im Einzelnen arbeitet dieser, erfreulich sachliche Beitrag nochmals heraus.
Wer glaubt, das würde mit einer "Bürgerversicherung" besser, könnte eine böse Überraschung erleben: erstens sichert eine Bürgerversicherung, auch für die Beamten etc., wie für die gesetzlich Versicherten auch, nur die Basisversorgung ab. Und auch nur für die muss eingezahlt werden. Will man etwas mehr als das, kann man sich wieder anderweitig versichern. Das heißt, ein wesentlich höheres Beitragsaufkommen wird nicht generiert. Dann wird es die geben, die bürgerversichert sind, und die, die "bürgerversichert plus" sind. Im Sinne der "Besitzstandswahrung" dürfte eine solche Bürgerversicherung nämlich niemanden schlechter stellen. Zitat:
Die Besitzstandswahrung gibt Personen Rechtssicherheit bei geänderten Rechtsvorschriften und wird umgangssprachlich auch als Schlechterstellungsverbot bezeichnet. Sachverhalte in denen es um Besitzstandswahrung geht, kommen häufig im Arbeitsrecht, aber auch im Verwaltungsrecht vor.
Geänderte Rechtsvorschriften dürfen in der Regel im Lichte des Grundgesetzes nicht dazu führen, dass eine Person durch eine Neuregelung schlechter gestellt wird.
Das heisst, es muss sichergestellt sein, daß die vorherigen Privatpatienten für den bisherigen Beitrag eine unverminderte Leistung erhalten. Es wird der Anteil für die Gleichstellung in die Privatversicherung fließen, der Rest des früheren Beitrags in die Bürgerversicherung. Somit könnte die Aufnahme von Beamten etc. aus meiner Sicht höchstens schrittweise erfolgen: bei allen Neuversicherungen.
Eines noch: während bei einem einzigen Beitrag in der "Gesetzlichen" jedes Familienmitglied mitversichert ist, bezahlt in der "Privaten" jeder einzeln.
Zweiklassenmedizin: nein - Zweiklassenpflege: ja
Die Medizin, die jedeR Versicherte erhält, ist im Wesentlichen, von einigen kleineren Ausnahmen abgesehen, die gleiche. Ich möchte das auf den Punkt bringen: die Ware ist die gleiche, die
Verpackung macht den Unterschied. Und die Erwartung an die Eigenverantwortung. Wie aus dem oben eingebundenen Beitrag ersichtlich, kann man man sich, übrigens auch als Kassenpatient - seinen
Aufenthalt richtig nett machen: als Kassenpatient mit einer Zusatzversicherung, als Privatpatient dadurch, daß man es im Vertrag mit der Krankenversicherung aufgenommen hat - und entsprechend
bezahlt. Man kann als Privatpatient alles, was das Leben angenehm macht, zubuchen - oder es lassen. Wenn ich mir oben ansehe, wie das in den Niederlanden läuft: da müssen anscheinend auch eine
ganze Reihe Behandlungen, wie z.B. die Physiotherapie zugebucht werden. Oder man verzichtet darauf - was dann den Op-Erfolg infrage stellt. Bei dem dargestellten niederländischen Basistarif
scheint man auch einiges zusätzlich versichern zu müssen, um den vollen Behandlungsumfang zu erreichen.
Mindestzahlen im Jahr für durchgeführte Ops finde ich im Übrigen nicht schlecht. In dem Beitrag wird die Mindestzahl von 50 Prothesen-Ops genannt: "Mein" Operateur, der mir schon eine "Hüfte" und
eine "Schulter" eingebaut hat, macht jährlich mehr als das Doppelte - Übung macht den Meister, und so ist das auch gedacht.
Ich lag diesen Sommer mit einer 80-jährigen Patientin im Zimmer, die aus ihrem Vertrag die Chefarztbehandlung hatte streichen lassen - was ihren Beitrag von ca. 2000;-- Euro auf 1.600;-- Euro monatlich gesenkt hat.
Was die Sage betrifft, daß Privatpatienten alles, was gut, neu und teuer ist, bekommen, und der gesetzlich Versicherte bekommt es nicht: das stimmt so, nicht, im Gegenteil, es gibt Beispiele, bei denen es genau umgekehrt ist; und zwar dadurch, daß Privatversicherungen nichts bezahlen müssen, was nicht im Versicherungsvertrag steht.
Bekanntermaßen wurde bei mir ja vor gut anderthalb Jahren eine Schlafapnoe diagnostiziert. Wenn der
Schlafmediziner einem ein CPAP-Gerät verordnet, muß man sich mit der Krankenkasse auseinandersetzen. Die CPAP-Behandlung ist ein ziemlich neues Verfahren.
Die gesetzlichen Krankenkassen genehmigen eine sog. "Fallpauschale" für Gerät, Schlauch, Maske, Beratung und Wartungsarbeiten/Reparaturen. Links seht Ihr mein Gerät. Allerdings: im Gegensatz zu
dem, was so mancher gesetzlich versicherte Neidhammel annimmt, gibt es Privatkrankenkassen, die diese Behandlung überhaupt nicht bezahlen, wenn sie nicht bei Vertragsabschluss vereinbart wurde -
was sehr oft bei älteren Verträgen nicht der Fall ist. Dann bleibt dem Patienten nichts anderes übrig, als den ganzen Kram selber zu bezahlen. Beihilfefähig ist die Behandlung allerdings und mein
privat versicherter Anteil wird von der DKV ebenfalls bezahlt. mit der Fallpauschale von 800;-- Euro (nach Abzug des Preises für das Gerät) - muss ich fünf Jahre) auskommen. Die Kassenpatienten
haben das Problem nicht: die bekommen alles, was sie brauchen, zuzüglich 60;-- Stromkostenpauschale im Jahr. Aber wie gesagt: es gibt Privatversicherungen, die stehen auf dem Standpunkt, "wenn
das nicht in Ihrem Vertrag steht, bezahlen wir das nicht", auch wenn das daran liegt, daß der Vertrag älter ist, als das Verfahren, das abdecken soll und nicht tut. Bitter wird es dann, wenn es
sich um lebensverlängernde Maßnahmen handelt: so berichtete irgendeine Magazinsendung mal, daß einem vom Hals abwärts gelähmten Privatpatienten die Erstattung eines Kippbetts verweigert wurde.
Mit diesem Kippbett wäre man in der Lage gewesen, ihn nicht nur besser zu betten, sondern auch, ihn zum Nutzen und Frommen seines Kreislaufs mal in die Senkrechte zu bringen. Gesetzlich
Versicherte bekommen ein solches Bett.
Sicher, es gibt auch Behandlungen, die die Privatversicherung bezahlt und die "Gesetzliche" nicht - aber das macht keinen solchen Unterschied, daß man berechtigt wäre, von Zweiklassen-Medizin zu sprechen. Zweiklassen-Pflege gibt es, neben den Komfortzimmern, aus meiner Sicht schon: im hiesigen Klinikum hat das Pflegepersonal einer Allgemeinstation 150% der Patienten zu betreuen, die die gleiche Anzahl von Schwestern und Pflegern auf der Privatstation zu betreuen hatte. Bei meiner letzten Notfallaufnahme war auf der Privatstation kein Bett frei, ich wurde auf einer Allgemeinstation aufgenommen und bekam so mit, was dort für ein Arbeitsdruck herrscht. Sich noch privat mit allen Problemen und Nöten seiner Patienten - besonders der Privaten - zu widmen, wie der Fernsehgucker das von Prof Brinkmann, Prof Simoni und Fr. Dr. Klein in den entsprechenden Serien kennt und somit erwartet, hat kein/e Pfleger/In, kein Arzt, keine Ärztin Zeit und Lust - ist auch nicht deren Aufgabe.
ChrisTine Urspuch als Kinderärztin Dr. Klein in der gleichnamigen Serie
Und einen habe ich noch: in den Sozialen Medien habe ich schon öfter gelesen, daß Leute, die den ganzen Tag z.B. mit Rückenschmerzen zum Hausarzt hätten gehen können, dann abends in einer Notfallaufnahme auflaufen und völlig empört sind, wenn sie dann drei Stunden warten müssen. Dazu folgendes: Am Tag nach der Entlassung aus dem Klinikum wegen eines Eingriffs am Herzen, hat es aus einer meiner Beinarterien nachts nachgeblutet.
Ich habe dann, um 3:30 einen Krankenwagen gerufen und kam um ca. 4:00 in der Notfallaufnahme an.
Bild: mein Bein am 26. September: Blut aus der Beinarterie in den Obrschenkel gesickert.
In einer Notfallaufnahme wird festgelegt, wie dringend der Erstkontakt mit einem Arzt ist. Den hatte ich auch ziemlich schnell. Der Doktor hat meine Leiste geschallt, wollte aber dann, daß ich
einer Spezialistib vorgestellt würde. Das wurde ich dann um 11:30, also siebeneinhalb Stunden nach meinem Eintreffen. Nach Dringlichkeit, nicht nach Versichertensstatus.
Sorry, aber das wird Euch jetzt nicht gefallen, aber Rückenschmerzen, zumal solche, mit denen man unter Tags den Hausarzt hätte aufsuchen können, sind nach diesem international anerkannten System nicht dringend. Und solche Patienten
blockerien dann eine Rettungsstelle für die echten Notfälle.
Tabelle: Dringlichkeitsstufen des Manchester-Triage-Systems
Zusammenfassung: die Folgen einer Bürgerversicherung
Die jetzt schon wieder aufgewärmte Debatte um eine Bürgerversicherung löst wahrlich kein einziges Strukturproblem unseres Gesundheitswesens. Dazu hat der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im unten eingebundenen Video Ausführungen gemacht, denen ich mich vollinhaltlich anschließe. Der Wegfall der Gelder der Privatversicherten in Praxis und Krankenhaus würde zu Einsparzwängen führen, die alle Patienten treffen würden, z.B. auch zur Bewirtschaftung teurer Untersuchungen. Ich habe mal in Großbritannien erlebt, wohin das führt. Da hatte ich nämlich eine Ultraschalluntersuchung angefordert - in Deutschland war ich daran gewöhnt, solche Untersuchungen anzufordern, ohne mir groß Gedanken zu machen. In Wales rief der Zuständige beim Nationalen Gesundheitsdienst an, um mir mitzuteilen, daß ich zu dieser Untersuchung einen ausführlich begründeten, schriftlichen Antrag zu stellen hätte, schließlich stünde für 50.000 Einwohner (!) nur ein Sonograohiegerät zur Verfügung - zu dieser Zeit, ca 1995 stand bereits in jeder deutschen Internistenpraxis eines. Weitere Einsparungen, die mit Sicherheit über das hinausgingen, was der Wegfall der Querfinanzierung durch die Privatpatienten ausmacht, aber die wäre z.B. für Leute wie Christian Lindner und Jens Spahn ein willkommener Anlass, eine Debatte um das Streichen von Leistungen zumindest anzustoßen, ohne allerdings die Selbstbedienungsläden von Heilmittel- und Pharmafirmen anzutasten. Wer will das? Ich nicht.